Cyberabad: Roman (German Edition)
volljährig«, sagt Talv und schenkt zwei Gläser aus einem Shaker ein, der eine trügerische Ähnlichkeit zu Shivs Schatz aus rostfreiem Stahl hat.
»Da draußen gibt es gute Männer. Sie geben einer Frau alles, was sie haben will – ein gutes Heim, gute Chancen, damit sie nie arbeiten muss, eine gute Familie, Kinder, einen Platz weit oben auf der Leiter, und sie hängen an diesem Zehnjährigen wie ein Kalb am Euter«, sagt Shiv. »Ich würde sie alle erschießen. Das ist gegen die Natur.« Yogendra bedient sich vom Paan.
»Der Zehnjährige könnte diesen Laden zehnmal kaufen und verkaufen. Und er wird immer noch herumspringen, wenn wir beide längst zu den Ghats gegangen sind.«
Der Cocktail ist kühl und blau und tief und vertreibt das rote Paan in einen tiefen dunklen Winkel. Shiv blickt sich im Club Musst um. Keins seiner Mädchen wird heute Abend seine Aufmerksamkeit erregen. Alle, die nicht mit dem Brahmanen lachen, starren gebannt auf das Tisch-Tivi.
»Was fasziniert sie so?«
»Irgendeine Modegeschichte«, sagt Talv. »Irgendein russisches Model wird gerade herumgereicht, irgendein Neut – Yuri oder so ähnlich.«
»Yuli«, sagt Yogendra. Sein Zahnfleisch ist scharlachrot vom Paan. Das Licht ist blau, und die Perlenkette, die er stets um den Hals geknotet trägt, leuchtet wie Seelen. Rot, weiß, blau. Amerikanisches Grinsen. Seit Shiv mit ihm arbeitet, trägt er diese Perlen.
»Die würde ich auch erschießen«, sagt Shiv. »Sie sind abartig. Ich meine, okay, auch die Brahmanen spielen an den Genen rum, aber sie sind immer noch Männer und Frauen.«
»Ich habe gelesen, die Neuts arbeiten daran, sich klonen zu lassen«, sagt Talv behutsam. »Sie wollen normale Frauen dafür bezahlen, dass sie ihre Kinder austragen.«
»Also, das ist einfach nur widerlich«, sagt Shiv, und als er sich wieder umdreht und sein leeres Glas abstellt, liegt ein Zettel auf der blau leuchtenden Theke.
»Was ist das?«
»So etwas nennt man eine Rechnung«, sagt Talv.
»Wie bitte? Seit wann muss ich in diesem Etablissement für Getränke bezahlen?«
Shiv entfaltet den kleinen Zettel, wirft einen Blick auf die Zahl. Blickt noch einmal darauf.
»Nein. Was zum Teufel ist das? Bin ich hier nicht mehr kreditwürdig? Wollt ihr das damit sagen? Shiv Faraji, wir vertrauen dir nicht mehr?«
Die Tivi-Mädchen blicken auf, als er die Stimme hebt, bläulich angestrahlt wie Devis. Talv seufzt. Dann ist Salman da. Er ist der Besitzer, er hat Verbindungen, die Shiv nicht hat. Shiv hält die Rechnung hoch wie eine Anklageschrift.
»Ich habe gerade zu Ihrem Star gesagt ...«
»Ich habe da gewisse Dinge über Ihre Diskontfähigkeit gehört.«
»Mein Freund, ich genieße hohes Ansehen in der ganzen Stadt.«
Salman legt einen kalten Finger auf den kalten Behälter. »Ihre Aktie wird nicht mehr so hoch notiert wie früher einmal.«
»Irgendein Scheißer unterbietet mich? Ich werde seine Eier in Trockeneis ...«
Salman schüttelt den Kopf. »Es ist ein makroökonomisches Problem. Die Kräfte des Marktes, Sir.«
Und die Musst-Club-Bar wird im Zoom langgezogen, so dass die Wände und Ecken vor Shiv zurückzuweichen scheinen, ausgenommen der Kopf des Brahmanen, der riesig und aufgebläht wirkt und wie ein bemalter Heliumballon bei einem Festival wackelt.
Manche sehen rot. Für Shiv war es schon immer ein blauer Schleier gewesen. Ein tiefes, vibrierendes, intensives Blau. Er nimmt die Paan-Schale, zerschlägt sie, hält Talvs Hand auf dem Tresen fest und lässt eine lange Klinge aus Glas wie eine Guillotine über seinem Daumen hängen.
»Wollen wir doch mal sehen, wie er ohne Daumen schüttelt und rührt«, zischt Shiv. »Der Star der Bar.«
»Shiv, immer mit der Ruhe«, sagt Salman sehr langsam und zerknirscht. Shiv weiß, dass es das Zischen einer Kobra ist, aber es ist blau, völlig blau, zitternd blau. Eine Hand auf seiner Schulter. Yogendra.
»Okay«, sagt Shiv, ohne jemanden oder etwas anzusehen. Er legt die Scherbe nieder und hebt die Hände. »Alles gut.«
»Ich werde darüber hinwegsehen«, sagt Salman. »Aber ich erwarte vollständige Bezahlung, Sir. Innerhalb von dreißig Tagen. Die üblichen Geschäftsbedingungen.«
»Okay, hier ist irgendwas oberfaul«, sagt Shiv und tritt den Rückzug an. »Ich werde herausfinden, was es ist, und dann komme ich wieder, um mir Ihre Entschuldigung anzuhören.«
Er stößt noch seinen Barhocker um, aber er vergisst die Körperteile nicht. Jetzt endlich schauen die Mädchen ihn an.
Das
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