CyberCrime
verschickte sie dann, allerdings mit einer kleinen technischen Abwandlung.
Da es Dron nicht mehr gab, war Cha 0 in der Lage, den Stückpreis für die Skimmer in die Höhe zu treiben: Hatte der Kaufpreis früher 5000 Dollar betragen, so kostete die Miete nun 7000 Dollar. Dafür erhielten die Kunden zusammen mit dem Skimmer auch eine PIN-Tastatur. Sie installierten den Skimmer am Kartenschlitz eines Geldautomaten und legten die Tastatur über die vorhandene. Wenn die Bankkunden nun ihre Karten einführten und ihre Geheimzahl eingaben, wurden alle Daten von der falschen Tastatur und dem Skimmer gespeichert. Anschließend konnte man die beiden Betrugsapparate wieder abbauen, und Cha 0 s Kunde lud die Informationen über ein USB -Kabel auf seinen Computer herunter.
Die mit Drons Skimmern gewonnenen Informationen konnte der Kunde dazu nutzen, auf betrügerische Weise an Bargeld zu gelangen. Bei Cha 0 s Geräten dagegen waren die Daten, die auf dem Computer heruntergeladen wurden, verschlüsselt. Und der Einzige, der den Schlüssel zum Dechiffrieren der Information besaß, war … Cha 0 . Der junge Kriminelle, der den Skimmer und die PIN -Tastatur so mühevoll am Geldautomaten befestigt hatte, konnte also nicht einfach selbst Kreditkarten klonen, sondern er musste die Informationen nach Istanbul schicken. Cha 0 organisierte dann die Bargeldbeschaffung. Sobald er das Geld besaß, schickte er einen Anteil davon an den Kunden, der die eigentliche harte Arbeit erledigt hatte. Eigentlich vermietete er seine Skimmer – eine Strategie, die wesentlich mehr Gewinn einbrachte als Drons einfacher Verkauf.
Es war in der Welt der Cyberkriminalität ein gewagtes Geschäftsmodell. Wenn es Erfolg hatte, konnte Cha 0 damit ungeahnte Summen einstreichen und einen großen Prozentsatz aller illegalen Skimmer-Transaktionen auf der ganzen Welt absahnen. Er brauchte nur für Nachschub an Skimmern zu sorgen und sie zu versenden, ohne dabei entdeckt zu werden. Was die Klugheit eines Menschen nicht überstieg. Natürlich konnte irgendwann eine Zeit kommen, in der ein Konkurrent seine Strategie zu untergraben versuchte oder sogar zum altmodischen, einfachen Verkauf von Skimmern zurückkehrte. Bis es aber so weit war, konnte Cha 0 , der ja auch die Kontrolle über das einflussreichste Forum der englischsprachigen Welt ausübte, sich eines angenehmen Lebens erfreuen. Und er genoss es tatsächlich.
2008 war Istanbul auf dem besten Weg, zur Stadt mit den höchsten Wachstumsraten der ganzen Welt zu werden. Die Bevölkerung stieg schon seit 15 Jahren nahezu unkontrollierbar an, und die Stadt beherbergte jetzt etwa 15 Millionen Menschen. Schätzungsweise 2 Millionen davon waren nicht gemeldete Migranten – nicht nur Ausländer, sondern auch Türken und Kurden aus Anatolien, die in die Stadt beiderseits des gewaltigen Bosporus drängten, jenes großartigen Gewässers zwischen Europa und Asien.
Im Gegensatz zu vielen Großstädten in Ostasien und insbesondere in China erreichte Istanbul dieses phänomenale, dynamische Wachstum nicht auf Kosten seiner glanzvollen Vergangenheit. Nahezu jedes Gebäude hat seine Geschichte. Überall sieht man die reiche Tradition einer mehr als 1000-jährigen byzantinischen Geschichte und der 600-jährigen osmanischen Größe – zwei der zauberhaftesten, gewalttätigsten, erfolgreichsten und bewundernswertesten Staatskonstruktionen aller Zeiten. Im Gegensatz zur allgemein verbreiteten Vorstellung war das Osmanische Reich während des größten Teils seiner Geschichte bekannt für die Toleranz, die seine Herrscher gegenüber den drei »Völkern des Buches« – Juden, Christen und Muslimen – walten ließen. Der Ruf der Gewalttätigkeit hat seinen Ursprung in den blutigen Massakern der entfernten Vergangenheit, die erst während des langsamen Niederganges im 19. und frühen 20. Jahrhundert wieder aufflammten.
In der türkischen Republik, die nach dem Ersten Weltkrieg aus der Asche des Reiches entstand, machte Istanbul schwere Zeiten durch: Zuerst verlor es die Stellung als Hauptstadt an Ankara, eine neureiche anatolische Stadt im Osten; und später, während des Kalten Krieges, bemühte sich das Militär gnadenlos, den Geist der Unabhängigkeit in der Stadt zu unterdrücken. Ihre Infrastruktur verfiel, viele Menschen zogen weg, und die Bevölkerung stagnierte bei ungefähr zwei Millionen. Seit Anfang der 1990er Jahre jedoch begann Istanbul in großen Schritten, seine Stellung in der obersten Liga der dynamischen,
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