Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
CyberCrime

CyberCrime

Titel: CyberCrime Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Glenny
Vom Netzwerk:
die wurde von dem Mann mit dem Päckchen tatsächlich benutzt – das Telefon war aktiv.
    »Das könnte der Bursche sein, der uns zu Cha 0 führt«, dachte Bilal.
    Aber jetzt stand er vor einem Dilemma. Ungefähr zur gleichen Zeit veröffentlichte die Nachrichtenagentur Haber7 das erniedrigende Foto des Hackers Mert Ortaç. Nun wuchs der Druck auf die Polizei von Istanbul, Ortaç zu finden, und auf Bilal, dessen wichtigste Zielperson Cha 0 war. Bilal musste die Sache beschleunigen, aber er wusste, dass er die Operation andererseits nicht durch Ungeduld gefährden durfte.
    Mit Ortaçs Entführung hatte Cha 0 zum ersten Mal Angst und Verletzlichkeit erkennen lassen. Aber warum hatten die Enthüllungen des Hackers auf Haber7 ihn so beunruhigt?
    Cha 0 wusste, dass Ortaç Türke war. Und offenbar war Cha 0 auch davon überzeugt, dass es sich bei Ortaç um einen Informanten der Polizei handelte. Außerdem hatte er herausgefunden, dass der Hacker auf der Flucht war und Angst hatte. Wenn die Polizei ihn gefunden hätte, bevor es Cha 0 gelang, bestand eine echte Gefahr, dass er auspackte.
    Aber wer um alles in der Welt war Mert Ortaç, und wie war er in diese ungewöhnliche Kriminalaffäre verwickelt worden? Alles hatte im Frühjahr zuvor begonnen, als die Verhaftung von Matrix und JiLsi bevorstand – was Ortaç nicht wusste – und damit die Phase I der Operation DarkMarket in die Phase II überging.

Teil III

Orientierung
    Innerhalb eines Jahres hatte DarkMarket mich über einen weiten Weg geführt: von der Google-Firmenzentrale zu einem Restaurant in Chihangir, dem angesagten Viertel unterhalb des Taksim-Platzes im europäischen Teil von Istanbul. Mir gegenüber saß Mert Ortaç mit seinem quirligen Lächeln. Ich hatte bereits mehrere Stunden in seiner Gesellschaft verbracht und war dabei zu dem Schluss gelangt, dass das Adjektiv »spitzbübisch« nie auf jemanden so genau gepasst hat wie auf Mert.
    Während eines gemütlichen Abendessens in Kadıköy hatten mein Freund Şebnem und ich unsere iPhones auf den Tisch gelegt. Plötzlich machten sie uns gleichzeitig auf neu eingetroffene SMS aufmerksam. Meine SMS war von Şebnems Telefon abgeschickt worden, seine von meinem. Beide lauteten »Schöne Grüße von Mert!« Als wir den Text lasen, brach Mert auf der anderen Seite des Tisches in Gelächter aus, und dann erklärte er, es sei ihm gelungen, sich in das internationale Handynetz zu hacken. Deshalb, so fuhr er fort, könne er eine SMS von jedem Handy auf der Welt an jedes andere schicken – in den falschen Händen (wie denen von Mert) konnte eine solche Fähigkeit das Leben in eine endlose Reihe von Shakespeare’schen Handlungen verwandeln, die auf tragischen und komischen Missverständnissen beruhten.
    Ich hatte mit Mert korrespondiert, während er im Gefängnis saß. Von dort hatte er mir Bruchstücke einer Geschichte geschickt, die in ihrem schieren Erfindungsreichtum alle anderen Legenden über DarkMarket in den Schatten stellten. In meinen Gesprächen mit anderen Personen, die mit DarkMarket in Verbindung standen, war mir in den meisten Fällen bewusst gewesen, dass sie etwas verschwiegen. Aus Mert dagegen sprudelten die Informationen, Anekdoten und schwindelerregenden Geschichten nur so heraus.
    Für Hacker, Cyberkriminelle und Cyberpolizisten ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie ihr unterteiltes Leben stets vollständig im Griff haben: Sie müssen die Grenzen zwischen realem und virtuellem Leben kennen, und sie müssen sich lösen können, wenn sie von dem einen in das andere wechseln. Mert hatte es völlig versäumt, sich klarzumachen, wann er die Wahrheit sprach und wann nicht.
    Wäre Mert ein ungehemmter Fantast gewesen, der einfach nur Unsinn redete, das Leben hätte sich unvergleichlich viel einfacher gestaltet. Die Hacker, Mitglieder und Polizisten ausfindig zu machen, die mit DarkMarket zu tun hatten, kostete mich so viel Nerven wie kaum ein anderes Vorhaben in meiner Journalistenlaufbahn. Aber nichts war so anstrengend wie der Versuch, den Wahrheitsgehalt von Merts Geschichte einzuschätzen. Eigentlich stimmt das nicht ganz: Große Teile seiner Erzählungen erwiesen sich im Kern als wahr und verifizierbar, aber manchmal schmückte er sie mit so viel Kinkerlitzchen und Schnickschnack aus, dass sie sich in etwas ganz anderes verwandelten. Das Bizarre dabei: Wenn Mert glatte Unwahrheiten erzählte, hatten sie oft mit den banalsten Themen zu tun, die sich am einfachsten überprüfen ließen. So

Weitere Kostenlose Bücher