CyberCrime
Fähigkeit. Digiturk hatte kurz zuvor die Übertragungsrechte der Süper Lig erworben, der ungeheuer beliebten ersten Fußballliga in der Türkei. Um den Kanal zu entschlüsseln, mussten die Abonnenten von Digiturk eine Smartcard kaufen und in den Satellitenreceiver stecken; erst dann beförderte dieser sie in den Fußballhimmel.
Nachdem Mert herausgefunden hatte, wie man die Karten knacken kann, kopierte er sie, um sie illegal auf den Straßen von Istanbul zu verkaufen. Dies brachte ihm beträchtliche Geldsummen ein. Aber so schnell die türkischen Lira ihm auch in die rechte Tasche flossen, so schnell verschwanden sie aus der linken. Mert gab große Partys für Freunde, die er aus Ankara einlud, und wenn sie in Istanbul waren, bezahlte er ihnen Reise und Unterkunft. Seine Ausgaben hatte er nie unter Kontrolle, auch später nicht, als er mit dem Carding große Summen einnahm.
Merts Freunde waren ihm unter anderem deshalb so wichtig, weil es ihm aus irgendeinem Grund schwerfiel, Zuneigung zu gewinnen. Ob er sich der Tatsache bewusst war oder nicht: Mit dem Digiturk-Geld kaufte er sich Freundschaft – und in Istanbul gab es viele knapp über Zwanzigjährige, die gern Kumpels eines jungen Mannes waren, wenn dieser offensichtlich bereit war, teure Feiern zu finanzieren. Wenn ihm das Geld ausging, waren natürlich auch die meisten dieser Kerle wieder verschwunden.
Er wollte außerdem unbedingt beweisen, dass er etwas Besonderes war (was angesichts seiner Computerbegabung zweifellos stimmte). Deshalb übertrieb er systematisch seine Leistungen. Während sich diese Neigung entwickelte, schwebte auch Merts Bewusstsein zunehmend zwischen Realität und Fantasie. Offenbar hatte er schon in einem frühen Stadium die Fähigkeit verloren, zwischen beiden zu unterscheiden. Die Vermischung war so vollständig, dass ein Lügendetektor wahrscheinlich entweder bis zum Ende der Skala ausgeschlagen oder überhaupt nichts registriert hätte. In gewisser Hinsicht bedeutete das aber natürlich auch, dass er sich ohne Weiteres auf die Kultur des Internets – des Tals der Lügen – einstellen konnte.
Nachdem Mert in den IT -Abteilungen verschiedener Unternehmen gearbeitet hatte, bekam er im Juni 2006 eine Stelle bei der örtlichen Toshiba-Niederlassung; dort merkte die Personalabteilung nicht, dass wegen des Digiturk-Betruges gegen ihn ermittelt wurde. Dennoch dauerte es nicht lange, bis Merts Kollegen bei Toshiba sich über manche seiner Verhaltensweisen sehr wunderten. Misstrauisch waren sie auch wegen eines Zeugnisses, wonach er angeblich an der Universität Cambridge ein Examen in der Wissenschaft der Kryptologie abgelegt hatte. Die Kuratoren, so stand dort zu lesen, »verleihen dieses Diplom als Beweis dafür, abgelegt in der Stadt London in Cambridge am zweiundzwanzigsten Tage des Juni zweitausendvier«.
Vielleicht hatten sie ihm das Diplom ja in dem Pub »Cambridge Arms« in der Londoner City verliehen? Wo die fiktive Zeremonie auch stattgefunden haben mochte, das Zeugnis sah so unbeholfen aus, dass es die Bezeichnung »Fälschung« kaum verdiente.
Einem der Kollegen in der IT -Abteilung bei Toshiba fiel auf, wie oft Mert mit seinen Beziehungen zum Geheimdienst prahlte. Auch der Kollege hatte den Spionen gelegentlich geholfen, insbesondere Ende der 1990er Jahre, als die Behörde noch keine eigene leistungsfähige Abteilung für Cyberkriminalität besaß. Er hängte aber solche Themen nicht an die große Glocke. Merts ständiges Gerede über seine enge Beziehung zum Geheimdienst war wirklich irritierend.
Dennoch behielt Toshiba ihn ein halbes Jahr. Der Grund: Jedes Mal, wenn seine Vorgesetzten ihn um die Lösung eines Problems baten, lieferte er. Sie hielten ihn für klug, aber irgendetwas veranlasste sie, ihn genau im Auge zu behalten.
Eines Abends wurde Mert von seinem Führungsoffizier beim Geheimdienst angerufen; er sollte eine forensische Einschätzung über verschiedene Festplatten und Computer abgeben, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht waren. Er sollte die Dateien analysieren, wenn möglich die Passwörter knacken und sämtliches belastende Material zusammentragen. Das wichtigste Zuständigkeitsgebiet der Behörde war die innere Sicherheit der Türkei, und sie hatte den Auftrag, das breite Spektrum von Organisationen zu überwachen, die nach Einschätzung der Regierung in terroristische Aktivitäten verwickelt waren.
Gegen Ende 2006 wurde Mert bei Toshiba gefeuert – er hatte nicht die richtige Einstellung,
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