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Cyboria - Die geheime Stadt

Cyboria - Die geheime Stadt

Titel: Cyboria - Die geheime Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. Baccalario
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rammte seine Finger noch tiefer in den Beton. Er sah wieder nach oben und erkannte ein Stück Nachthimmel; dort, wo gerade eben noch das Gebäudedach gewesen war, leuchteten jetzt die Sterne. Und er sah den riesigen Schatten der Wohnung, die sich langsam, aber stetig, von ihm entfernte.
    Otto stürmte die Wendeltreppe nach oben, dabei nahm er immer zwei schwarz-weiße Stufen auf einmal. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, dass draußen merkwürdige Dinge passierten: Eisenbögen öffneten und schlossen sich, drehten sich um die eigene Achse und nahmen vollständig neue Formen an. Aber er hatte keine Zeit, genauer hinzusehen.
    Er hatte keine Zeit, um zu begreifen, was da vor sich ging.
    Mit einer großen Lumen-Batterie unter dem Arm flog Otto regelrecht die schwankende Treppe hoch, mit wild klopfendem Herzen und durch die Ereignisse völlig verwirrt. Er raste weiter, bis er Jago gegenüberstand, der immer noch das Messer in der unverletzten Hand hielt. Bei seinem Anblick warf Jago das Messer die Treppen hinunter und kniete nieder, um den Jungen in den Arm zu nehmen.
    »Otto! Alles in Ordnung?«
    Otto sah das Handtuch, das um Jagos andere Hand gewickelt war. Was war passiert?
    Aber er hatte keine Zeit nachzudenken. Er hatte keine Zeit, sich zu entscheiden.
    »Mir geht’s gut … und Medea …?«
    »Alles in Ordnung, wir konnten uns befreien. Schnell! Wir müssen wieder nach oben! Das Haus bewegt sich!«
    Der Junge nickte und fragte nicht weiter. Er hatte keine Zeit für Antworten. Er konnte sie sich lediglich vorstellen.
    Das Haus bewegt sich.
    Es hebt ab.
    Galeno.
    Tante Medea.
    Seite an Seite stürmten sie die Treppe hinauf.
    Calibano hing immer noch im Aufzugsschacht. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Hier ging etwas vor, das seine programmierten Schaltkreise nicht verstanden. Er hatte das Haus abheben und im Nachthimmel verschwinden sehen. Er hatte gesehen, wie es sich verwandelt hatte. Die Eisenträger, die Bögen, die Schrauben und Bolzen hatten sich gekrümmt, gestreckt und sich auf andere Art und Weise neu miteinander verbunden. Aus dem Haus war ein Vogelkörper geworden, mit einem plumpen Rumpf, zwei kräftigen Beinen und jeweils drei scharfen Krallenzehen.
    Calibano hörte eine Reihe von Explosionen und elektrischen Entladungen unter sich. Er blickte in die Tiefe: Mit ohrenbetäubendem Lärm stürzte der metallene Torso der Aufzugskapsel in den Keller. Das stählerne Halteseil riss und schnellte durch die Luft wie eine sich windende Schlange. Calibano hörte das Stahlseil kommen, es klang wie das leise Schnalzen einer Peitsche. Es schoss nach oben, prallte gegen die Wände und hinterließ dabei tiefe Spuren. Das Seil war wie der Blinddarm des sich entfernenden Hauses, den man einfach herausgerissen hatte und der jetzt durch die Luft sauste.
    Calibano erinnerte sich an die letzte Anweisung, die er bekommen hatte. Geh hoch und sieh nach!
    Nach oben.
    Natürlich.
    Er löste seine Finger, die sich noch immer in den Beton klammerten, und sprang.

-1
Den Riesen zähmen
    V iele in Paris schworen Stein und Bein, in dieser Nacht eine albtraumhafte Szene beobachtet zu haben. Guillaume De Pois beschrieb sie in der Schülerzeitung des Gymnasiums. Man sagte ihm, er habe eine große Zukunft als Science-Fiction-Autor vor sich. Er antwortete, er hätte das nicht erfunden.
    Guillaume stand am Fenster seines Zimmers und bereitete sich für den morgigen Schultag vor, als draußen plötzlich ein Haus vorbeilief. Kurz zuvor waren ihm dumpfe Schläge und dröhnende Schritte aufgefallen. Diese seltsamen Geräusche hatten ihn neugierig gemacht; er war zum Fenster gegangen, um zu sehen, was draußen vor sich ging.
    Dann hatte sich plötzlich der Himmel verdunkelt, und ein gewaltiger Eisenfuß war vom Himmel auf den Asphalt gekracht und hatte sich dort festgekrallt. Dieser Fuß war durch ein Kugelgelenk mit einem Metallbein verbunden … und an dem Metallbein …
    Es war ein Albtraum. Ein Haus … Dieses monströse Gebilde hatte zwei Beine und einen kastenförmigen Körper: ein Quader mit großen, hell erleuchteten Fenstern. Und an einem Fenster stand jemand.
    Ein Junge. Er hatte ihm gewunken.
    Das Monsterhaus war dann über das gegenüberliegende Gebäude gestiegen und in der Nacht verschwunden, mit riesigen Schritten hatte es noch weitere Gebäude überquert. Wie ein Stelzvogel, der durch ein Sumpfgebiet stakst.
    Guillaume war nicht der einzige, der in dieser Nacht die albtraumhafte Szenerie beobachtet hatte. Viele hatten es

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