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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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anlockte, ohne daß du es bemerktest. Heute nacht werden wir gemeinsam den Tod finden.«
    »Ihr seid eine Gefangene, ich nicht. Wie wollen sie mich denn zu diesem Opfergang überreden?«
    »Das ist nur zu einfach. Bei Sonnenuntergang werden hundert Mann in dein Zimmer eindringen. Du scheinst keine Angst zu haben, aber auch der Tapferste kann gegen hundert Angreifer nicht bestehen. Sie werden dir das Schwert entreißen, dich betäuben und binden. In der westlichen Mauer ist eine Geheimtür, die zu einer Treppe führt. Diese Treppe werden sie dich hinabstoßen. Darunter liegen die Höhlen, in denen das Ungeheuer lauert und nach seinem Fraß giert. Auch ich werde auf diesem Weg in den Tod gehen.«
    »Eine fesselnde Geschichte«, meinte Cyrion. »Was hat dich veranlaßt, sie mir zu erzählen?«
    »Bist du nicht ein Held?« fragte das Mädchen leidenschaftlich. »Hast du ihnen nicht versprochen, das Ungeheuer zu erschlagen, ihr Retter zu sein, wenn auch für Gold? Kannst du statt dessen nicht dein eigener Retter sein und der meine?«
    »Vergebt mir«, erwiderte Cyrion in einem Ton, der schon an Naivität grenzte. »Was könnte ich denn tun? Außerdem scheint unser beider Schicksal unabwendbar zu sein. Wir sollten es hinnehmen«
    Cyrion erhob sich von dem Mosaikboden und trat einen Schritt beiseite.
    Nach einem Augenblick des Schweigens schrie das Mädchen: »Du bist ein Feigling, Cyrion. Trotz deiner Schönheit, deines kostbaren Schwertes, obwohl du das Kleid der Nomaden trägst, die man die Löwen der Wüste nennt - trotz all dem - Feigling und Narr.«
    Cyrion schien zu überlegen.
    Nach einer Minute sagte er liebenswürdig: »Natürlich könnte ich die Geheimtür jetzt gleich öffnen und das Ungeheuer aus eigenem Antrieb suchen, mit dem Schwert in der Hand und kampfbereit. Dann, wenn ich es getötet habe, könnte ich zurückkommen und Euch befreien.«
    Das Mädchen weinte. Dann sagte sie mit einer Stimme, die so hart war wie Stahl: »Wenn du ein Mann bist, wirst du es tun.«
    »O nein, edle Dame. Nur wenn ich das bin, was Ihr unter einem Mann versteht.«
    Die Treppe war schmal und so angelegt, daß sie völlig im Dunkeln lag - aber Cyrion hatte eine der parfümierten Fackeln aus seinem Zimmer mitgehen lassen. Die Geheimtür war leicht zu finden gewesen, ein Zierknopf, der sich drehte, eine Platte, die zur Seite glitt. Nach dreißig Stufen kam er an einer Eisentür vorbei, hinter der leises Weinen zu hören war.
    Die Treppe verlief in der Westmauer des Palastes und setzte sich unterirdisch fort. Aus den Tiefen der Höhle, die sich, jetzt noch unsichtbar, am Fuß der Treppe erstreckte, ertönte kein Geräusch. Schließlich endeten die Stufen. Dahinter gab es undurchdringliche Dunkelheit und in der Dunkelheit eine ebenso dunkle und formlose Stille.
    Cyrion ging weiter, die Fackel in der ausgestreckten Hand. Die Dunkelheit spielte mit der Fackel, gestattete dem Licht eine winzige Oase schattenhaft erkennbarer Dinge, wie Säulen aus Felsgestein, die bis zur Decke ragten. Die Dunkelheit verschlang Cyrion. Sie leckte an ihm, bewegte ihn auf der Zunge hin und her. Die brennende Fackel war für sie nichts weiter als eine Zutat; sie schätzte das Licht an Cyrion, wie ein Mensch Salz an seinem Essen.
    Dann kam ein heftiger Windstoß aus dem Nichts. Ein metallischer, heißer Luftzug, wie von einem Schmelzofen. Cyrion blieb stehen und überlegte. Das Ungeheuer, verborgen in einer der Höhlen, hatte geseufzt? Einen Augenblick später brüllte es.
    Oben, in der Schatzkammer, schien das Gebrüll das Haus in den Grundfesten erschüttert zu haben. Hier enthäutete es sogar die Dunkelheit und zerquetschte sie wie eine Frucht. Die Scherben der Dunkelheit klirrten gegen die felsigen Säulen. Splitter brachten aus dem Gestein und regneten zu Boden. Die Höhlen dröhnten, summten, schwiegen. Die Wunden der Dunkelheit heilten nicht.
    Ein neues Licht flammte auf. Ein makelloser Kreis aus Licht, blaß, mattrot. Und erlosch. Dann erschienen zwei. Zwei makellose, rötlich schimmernde Kreise. Zwei Augen.
    Cyrion ließ die Fackel fallen und löschte sie mit dem Stiefelabsatz.
    Dieses Geschöpf verbreitete seine eigene Helligkeit. Es wuchs aus der Dunkelheit in dem Maße, wie seine Augen vor Neugier zu funkeln begannen. Es hatte keine Ähnlichkeit mit irgendeinem anderen Lebewesen, war mit nichts anderem zu vergleichen. Es war es selbst, einzigartig. Allein die Größe konnte an etwas gemessen werden. Einem Turm, einer Mauer - jedes einzelne der

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