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Cyrion

Cyrion

Titel: Cyrion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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angestrahlte Festung wie glühende Kohle leuchtete. Ein paar Vögel kreisten über den Türmen; es waren fette, zahme Brieftauben.
    Wo die letzten Häuser an den Sand grenzten, bückte sich eine Frau, um in ihren Topf zu rühren, richtete sich erstaunt wieder auf und blickte in die Wüste hinaus. Aus dem Westen, wo die Nacht schon emporwuchs wie ein dunkelblauer Berg, kam ein Mann. Er hatte kein Pferd und stolperte oft. Er trug das Gewand der Nomaden, aber das letzte Abendrot zeigte ein weißes Gesicht, umrahmt von hellen Haaren und mit einem dunklen Streifen Blut auf der rechten Seite. Während sie ihn beobachtete, erreichte er mit unsicheren Schritten das Dorf und wandte sich sofort in ihre Richtung. Aufgeschreckt rief die Frau nach ihrem Mann, der in der Hütte beschäf t igt war.
    Ein paar Schritte vor ihr blieb der Fremde leicht schwankend stehen.
    »Ich brauche Eure Hilfe«, sagte er. »Werde ich sie bekommen?«
    »Was geht hier vor?« fragte der Ehemann der Frau und trat aus der Tür.
    Der Fremde ließ sich zu Boden sinken, wie ein Kind, das noch nicht sicher auf den Beinen ist.
    »Ihr wollt tatsächlich zuerst eine Geschichte hören, nicht wahr?« meinte er. »Hört also. Bei der Wasserstelle mit dem Baum begegnete ich einem Weißen Reiter. Er betäubte mich mit einer Marmorkugel, nachdem er mir vorher gesagt hatte, hier würde man mich lieben für seine Missetat.«
    Die Frau holte tief Atem. Ihr Ehemann brachte dem Fremden eine lederne Wasserflasche und hielt sie ihm an den Mund. Als der Fremde getrunken hatte, fragte der Mann drängend:
    »Was ist mit der Hütte bei der Wasserstelle?«
    »Niedergebrannt und der Besitzer erschlagen. Ganz zu schweigen von den Tauben.«
    Der Mann holte Atem, wie vorher seine Frau.
    »Das ist die Antwort auf viele Fragen«, sagte er. »Fremder Herr«, wandte er sich an den auf dem Boden liegenden Mann, »Ihr müßt mit mir kommen.«
    »Mein Name ist Cyrion«, sagte der Fremde. »Wohin mitkommen?«
    »In die Festung. Und schnell.«
    »Dann stimmt es also? Er sagte mir, ich würde in Klove gut aufgenommen, wenn ich schlecht über ihn spräche - wer immer er gewesen ist -«
    »Oh, wir wissen über ihn Bescheid«, sagte der Ehemann, half dem Fremden auf die Füße und führte ihn die Straße zur Festung hinauf.
    Viele Dorfbewohner, an denen sie vorbeikamen, ließen ihre Arbeit liegen, um ihnen nachzusehen. Einige riefen dem Mann, der den Fremden stützte, rätselhafte Fragen nach, die ebenso rätselhaft beantwortet wurden. Ein paar boten ihre Hilfe an, wurden aber abgewiesen. Der Weg den Berg hinauf war steil und wäre schwer zu bewältigen gewesen, hätte der Fremde sich nicht etwas erholt.
    Sie kamen an das äußere Torhaus. Die weißgekleideten Wachen, die ihr Nahen so regungslos beobachtet hatten, als wären sie aus dem gleichen Stein wie die Mauer, gerieten in Bewegung. Einer von ihnen rief von der sechs Meter hohen Mauer herab:
    »Was wollt ihr?«
    »Dieser Mann«, rief der Bewohner von Klove zurück, »bringt Neuigkeiten - die Neuigkeiten, auf die Großmeister Hulem gewartet hat.«
    Ein zweiter Wächter trat hinzu. Er sagte etwas zu dem ersten, der daraufhin rief: »Wartet hier. Er soll hereinkommen.«
    »Man nennt Euch Cyrion?« fragte der Meister Provinzial der Festung Klove. »Ist das so, weil Ihr aus Cyroam stammt?«
    »Vielleicht auch nicht.«
    In der fackelerleuchteten Halle, wo ein großes Kaminfeuer die Kälte der Wüstennächte vertrieb, wo der Tisch mit Fleisch, Früchten und Wein gedeckt war und wo Weiße Ritter sich erfolgreich bemühten, ebenso starr und steif zu stehen wie ihre Lanzen, war der verwundete Fremde aufs Beste empfangen worden. Er mochte mit einer rauen oder auch unverhüllt groben Behandlung gerechnet haben, aber die Soldatenhände, die sich seiner Wunde annahmen, waren beinahe zart gewesen. Das Essen, das ihm aufgetischt wurde, war gut, um nicht zu sagen ausgezeichnet. Nur die große Anzahl von Wachen, jeder von ihnen ganz Ohr, erweckte eher den Anschein vorsichtiger Duldung als von Gastfreundschaft. Zwar war der Großmeister Hulem, der angeblich so sehnsüchtig auf Neuigkeiten wartete, nicht erschienen. Dafür aber der Meister Provinzial, der anscheinend aber mehr eine höfliche Unterhaltung im Sinne hatte, als ein Verhör.
    Wie auch immer, der Gast wußte es besser, als in diesem berühmtberüchtigten Heiligtum Ungeduld oder Belustigung merken zu lassen.
    Der Meister Provinzial hatte sandfarbenes Haar und sandfarbene Haut. Jetzt wurden seine

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