D9E - Die neunte Expansion 01: Eine Reise alter Helden (German Edition)
Sinn.
Er hatte vorgestern eher gelangweilt an den Frequenzbändern der Ortungseinrichtungen der Interceptor herumgespielt – keinesfalls in der Erwartung, auch nur irgendwas von Interesse zu finden. Dabei waren ihm diese seltsamen Messungen aufgefallen. Die KI hatte massive Probleme, sie einem klaren Emissionsmuster zuzuordnen, und konnte auch keinerlei Parameter für eine mögliche Erklärung liefern, was diese Strahlung denn überhaupt für einen Sinn habe. Sie war offensichtlich für den menschlichen Körper nicht schädlich. Und es gab sie überall.
Jedenfalls hatte Lachweyler noch keinen Ort ausgemacht, an dem sie nicht existierte. Ob nun hinter dicken Mauern oder der Isolation eines Raumschiffes, die Strahlung ging durch alles hindurch.
Lachweyler, der hier allem und jedem mit größtem Misstrauen begegnete, berichtete Thrax nichts von seinem Fund. Er hatte sich mit einem Multimeter ausgerüstet, dieses auf das gefundene Wellenband eingerichtet und war dann auf Wanderung gegangen. Er benötigte Werte, um die Quelle der Strahlung auszumachen, und da er alleine unterwegs war, dauerte eine Triangulation endlos lange, insbesondere wenn die Quelle weit entfernt war. Darüber hinaus ließen die Messwerte den Schluss zu, dass die Intensität der Strahlung in einem kaum erkennbaren Rahmen schwankte, und Lachweyler brauchte etwas Zeit, um herausfinden zu können, ob diese Schwankungen natürlich waren oder ob eine erhöhte Intensität auf eine geografische Nähe zum Sender schließen ließ.
Er hatte wenig geschlafen und schlecht gegessen. Zwei Anrufe von Thrax hatte er ignoriert. Wenn er einer Wahnvorstellung anhing, dann wollte er sich nicht albern machen in den Augen des Kommandanten. Und wenn er einer ernsthaft interessanten Sache auf der Spur war, dann war es seine Absicht, mit Fakten zur Interceptor zurückzukehren, und nicht nur mit Vermutungen.
Aber jetzt war er so weit. Das Gebäude vor ihm war die – oder eine – Quelle der Strahlung. Es war groß, lag an einem Randgebiet der Stadt und wirkte in seiner architektonischen Schlichtheit beeindruckend. Es war halbrund, mit einer großen Kuppel, die Lachweyler an einen Radarkopf oder ein altes Observatorium erinnerte. Er war gestern zweimal daran vorbeispaziert, was ohne größeres Aufsehen möglich gewesen war, denn es lag in einem kleinen Park, der trotz der kühlen Jahreszeit von einigen Besuchern frequentiert worden war. Er hatte eine Weile gebraucht, um herauszufinden, worum es sich bei diesem Bauwerk handelte – bis eine kleine Schrifttafel ihm Aufschluss darüber gab.
Es war eine Kirche. Ein sakrales Gebäude.
Das Erschreckende daran war, dass Lachweyler den Kult kannte, zu dem dieses Bauwerk gehörte. Er hatte an dieser Tatsache eine Weile kauen müssen. Sein einziger Bruder war damals – vor mehr als 500 Jahren – den Schalmeienklängen der Verführer erlegen, was zum Bruch mit der ganzen Familie, aber vor allem mit ihm geführt hatte.
Er, der eine Lachweyler, war zu den Streitkräften gegangen, um Hondh zu töten.
Der andere Lachweyler hatte begonnen, sie anzubeten.
Die Erinnerung an die Auseinandersetzungen und das allmähliche Abdriften in eine Welt abstruser Spiritualität waren schmerzhaft. Es hatte die Familie auseinandergerissen. Seine Eltern hatten nicht verstanden, was da geschah, und ihre Versuche, die Kluft zu überbrücken, waren von schmerzhafter Naivität gewesen. Lachweyler selbst hatte nur wenige Male versucht, seinen Bruder zu überzeugen. Er hatte rasch einsehen müssen, dass es sich dabei um ein sinnloses Unterfangen handelte. Wie sprach man mit jemandem, der sich ganz und gar in ein völlig in sich geschlossenes Weltbild vergraben hatte? In einem solchen hatte alles eine ganz eigene Logik, die von außen nicht aufzubrechen war. Irgendwann hatte Lachweyler resigniert und nur noch mit angesehen, wie sein Bruder in seinem Irrsinn seinen Eltern das Herz brach. Die letzte Zusammenkunft war eine voller Bitterkeit gewesen.
Sein Bruder hatte Lachweyler schließlich Mord an den Göttern vorgeworfen, war einmal sogar handgreiflich geworden. Als die Interceptor zu ihrer letzten Mission aufgebrochen war, hatte er seinen Bruder bereits über ein Jahr nicht mehr gesehen.
Es war im Grunde nachvollziehbar, dass nach dem Sieg der Hondh aus einem obskuren Kult eine große Religion werden würde. Menschen waren so. Es half vielen möglicherweise, die kollektive Demütigung einer umfassenden Niederlage zu verarbeiten. Und dann war es über
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