Da haben wir den Glueckssalat
verschränkt rasch die Arme.
Wir sehen uns für ein paar lange Sekunden in die Augen.
» Also gut, früher mal. Aber das ist lange her. Ich war in Therapie, jetzt mache ich es nicht mehr.«
» Möchtest du…«
» Nein. Ich möchte nicht darüber reden.«
» Maddy…«
» Pia, ich habe Nein gesagt.« Sie zögert, dann sieht sie mir wieder in die Augen. » Ich darf auch meine Geheimnisse haben.«
» Vielleicht fühlst du dich besser, wenn du darüber sprichst«, sage ich. » Bei mir war es so.«
» Ja, okay, ich werde darauf zurückkommen.« Sie hebt den Kopf. » Komm. Die nächste Haltestelle ist unsere. Mach dir wegen mir keine Gedanken, okay? Es geht mir gut.«
Als wir nach Hause kommen, ist es fast elf Uhr. Julia und Coco sitzen auf einer Couch, Angie hat sich auf der anderen zusammengerollt. Sie sehen sich schweigend eine Folge von Babar, der kleine Elefant an.
Ich setze mich zwischen Julia und Coco und ziehe die Beine hoch. Coco kuschelt sich sofort an mich wie ein kleines Kind und fängt an zu weinen, worauf Julia den Fernseher stummschaltet und wütend blinzelt.
» Ich kann nicht mehr weinen«, sagt sie. » Ich kann nicht. Oder ich höre nie wieder auf.«
» Was genau ist passiert?«, frage ich sanft.
» Vic hat heute Morgen in aller Herrgottsfrühe bei uns geklingelt.« Julia zupft an einem der bestickten Kissen. » Ich habe aufgemacht und dachte im ersten Moment, er hätte einen Herzinfarkt, weil er so grau war. Er sah furchtbar aus, und er brachte keinen Ton heraus. Er hat mich einfach an die Hand genommen und nach unten geführt.«
» O Gott, nein…« Julia musste Maries Tod bestätigen? Das ist nicht fair, nicht nach der Geschichte mit ihrer Mutter, das hätte nicht sein müssen…
» Und dann kam Angie herunter.«
» Ich habe die Klingel gehört«, sagt Angie. Ohne Schminke sieht sie aus wie fünf.
» Angie hat den Notarzt gerufen, und dann kam der Krankenwagen und… egal, jedenfalls sind Coco und ich bei Vic geblieben. Wir haben versucht, ihn zu überreden, dass er was zu sich nimmt, aber er hat nur aus dem Fenster gestarrt, ohne eine Reaktion zu zeigen. Vor einer halben Stunde sind Maries Töchter gekommen, und kurz darauf ist er mit ihnen weggefahren.«
» Es war so schrecklich«, sagt Coco und schluchzt in meine Schulter.
Madeleine kommt mit Decken ins Zimmer und hüllt uns darin ein, dann setzt sie sich still neben Angie. Ich streiche sanft über Cocos Haar. Sie wirkt so jung und zerbrechlich. Wer wird sich um sie kümmern? Wer wird sich um Vic kümmern? Wer wird sich um irgendwen von uns kümmern?
» Möchtest du über Marie reden?«, frage ich, aber Julia schüttelt den Kopf. » Kommt euer Vater?«
» Er ist gerade geschäftlich in Kalifornien.«
Wir verfolgen alle, wie Babar über die Mattscheibe hüpft.
» Wisst ihr, ich weiß nicht, warum ich mir so viel Stress wegen meines Jobs mache«, sagt Julia. » Ich sollte einfach kündigen. Ich könnte nämlich jeden Moment sterben. Ich sollte um die Welt reisen und mit Männern schlafen und Drogen nehmen und mal so richtig auf die Kacke hauen.«
» Was?« Coco setzt sich erschrocken auf. » Tu das nicht!«
» Außer, du willst es unbedingt«, sage ich.
» Ich will es ja gar nicht wirklich«, erwidert Julia seufzend. » Aber ich will glücklich sein.«
Ein paar Minuten lang sitzen wir schweigend da. Das ist alles, was jede von uns sich im Moment wünscht.
» Okay, jetzt du. Wir war’s im Knast?«, fragt Julia.
Unsere Blicke treffen sich einen Augenblick. Im Zimmer ist es mucksmäuschenstill. Eine Sekunde später lacht sie los.
» Knast!«, ruft sie ungläubig.
Dann verlieren wir alle die Beherrschung.
Ich muss so heftig lachen, dass ich das Gefühl habe zu platzen. Wir kreischen mit diesem hysterischen Unterton, den man hat, wenn man nicht mehr weinen kann, wenn Lachen die einzige Möglichkeit ist, die einem bleibt, weil einem in diesem Moment das Leben so schrecklich erscheint. Julia laufen die Tränen übers Gesicht, und sie bekommt einen Schluckauf, während Coco aus dem Zimmer rennt.
» Ich habe mir in die Hose gepinkelt!«, quiekt sie.
» Hast du die Telefonnummern von Vics Nichten und Neffen?«, frage ich Julia, nachdem wir uns beruhigt haben. » Wir sollten uns mit ihnen kurzschließen und ihnen anbieten, dass wir uns um Vic kümmern… oder seine Wohnung putzen, Lebensmittel einkaufen, solche Sachen eben.«
» Ich hatte dieselbe Idee«, sagt Julia. » Ich glaube, Vic bleibt diese Woche erst einmal bei seinen
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