Da haben wir den Glueckssalat
schlafen. Als der Verkehr wenig später auf der Brooklyn Bridge zum Stehen kommt, öffnet sie die Taxitür und steigt aus.
» Was zum Teufel tust du?«, rufe ich bestürzt und greife nach ihrem Arm.
Sie reißt sich von mir los– unglaublich, wie viel Kraft Betrunkene entwickeln können– und knallt die Wagentür zu. Ich schnappe mir meine Handtasche und springe ihr rasch hinterher, den schimpfenden Taxifahrer ignorierend.
» Angie!«, brülle ich.
Sie balanciert auf dem durchgezogenen Streifen zwischen den beiden Fahrbahnen– mit ausgebreiteten Armen wie eine Seiltänzerin. Es gibt eine wilde Huperei, als die Fahrzeugkolonne auf unserer Spur sich wieder in Bewegung setzt.
» Seht mich an!«, schreit Angie. » Seht mich ahaan!«
» Angie! Lass das! Komm sofort zurück, verdammt!«, brülle ich.
Sie tut so, als ob sie mich nicht sähe, und läuft vor einen Prius. Der Fahrer kommt mit quietschenden Reifen zum Stehen. Ich laufe ihr hinterher und zeige den zutiefst empörten Mr. und Mrs. Prius beide Daumen, während ich mit den Lippen ein » Danke!« formuliere.
Angie ist plötzlich verschwunden.
» Angie!«, brülle ich. » ANGIE !«
Ein Trucker beugt sich aus seinem Fenster und fängt an, Angie von den Rolling Stones zu singen. » Oh, Angie, don’t you weep, all your kisses still taste sweet, I hate that sadness in your eyes…«
Verdammter Mist! Ich kann nicht glauben, dass ich um Mitternacht auf der gottverdammten Brooklyn Bridge zwischen den Autos herumrenne. Dann entdecke ich Angie. Sie ist auf das Dach eines Hummer geklettert, der direkt auf mich zusteuert. Ihre Haare wehen im Wind, und sie macht die berühmte Titanic -Pose.
» Angie!«, brülle ich, als sie an mir vorbeifährt. » Komm sofort da runter, verdammt!«
Wie durch ein Wunder kommt der Verkehr wieder zum Erliegen. Angie steht auf dem Autodach und verbeugt sich nach vorn und nach hinten zu den anderen Fahrzeugen, bevor sie einen perfekten Handstand macht.
Für ungefähr zwei Sekunden.
Dann fällt sie um und liegt wie ein zerknautschtes Bündel auf dem Dach des Hummer. Der Fahrer steigt sofort aus und fängt an zu schimpfen. Ich laufe zu ihr, ziehe sie von dem Autodach herunter und schleife sie zum Rand der Brücke in eine kleine Mauernische, wo wir geschützt sind. Wir ignorieren das hysterische Geschrei des Hummer-Fahrers. Angie weint still vor sich hin, mit weit aufgerissenen Augen starrt sie ins Leere.
» Scheiße, Angie, was sollte das? Bist du lebensmüde oder was?«
Angie blinzelt und sieht mich einen Moment lang an, dann schließt sie die Augen. Ich blicke mich um und versuche herauszufinden, wie zur Hölle wir von der Brücke herunterkommen können. Hupen heulen auf, die Fahrzeuge rasen an uns vorbei. Ein Drahtzaun trennt uns vom Fußgängerweg. Wir sind genau einen unachtsamen Fahrer davon entfernt, zerquetscht zu werden.
Plötzlich hält ein Taxi vor uns, aber das Taxischild ist nicht an. Ich starre verwirrt darauf und winke es weiter.
» Suchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?«, fragt jemand mit britischem Akzent.
Ich sehe wieder zu dem Taxi, bereit, Nein zu sagen. Aber ich kann nicht.
Weil es der schöne Unbekannte ist. Der Traumprinz, der vor ein paar Tagen meinen Schuh aufgehoben hat.
Eine Sekunde lang vergesse ich zu atmen.
Dann fällt mir wieder ein, wo ich bin, mit wem ich dort bin und was unser Problem ist. Zu einem Fremden in den Wagen steigen oder an einem Drahtzaun zerquetscht werden? Ich entscheide mich für den Fremden.
» Äh… ja, bitte«, sage ich rasch. » Meiner Freundin geht es nicht besonders gut. Ich möchte sie einfach nur nach Hause bringen.«
» Hüpfen Sie rein«, erwidert er.
Ich steige hinten zu ihm ein, Angie lässt sich neben mich in den Sitz plumpsen und schließt die Augen. Ich werde eng gegen den Körper des Fremden gepresst und, ungelogen: Ich stehe sofort unter Strom. Er fühlt sich unglaublich warm an– und stark. Ich frage mich, ob er mich wiedererkannt hat.
Sei nicht albern, Pia, natürlich nicht.
» Court Street, Ecke Union Street«, sage ich.
» Ich muss das melden«, sagt der Fahrer.
» Lässt sich das mit fünfzig Dollar verhindern?«, erwidert der Brite.
Der Fahrer drückt als Antwort aufs Gaspedal.
» Danke«, sage ich leise. » Ich übernehme das.«
Unsere Blicke treffen sich, und wieder einmal vergesse ich zu atmen. Ich starre ihn einfach an. Ich bemerke eine winzige Narbe auf seiner Unterlippe und frage mich, wie er wohl küsst. Gleichzeitig schwirrt mir durch den
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