Dämenkind 2 - Kind der Götter
Befehlen zu gehorchen, lieber sich selbst getötet.«
Schlagartig fühlte Adrina Wut emporbrodeln wie Glut im Innern eines Vulkans. Angesichts einer derartig scheußlichen Anschuldigung verpufften all ihre guten Vorsätze, freundlich zu sein. »Dieser vermessene Lügner …«
»Darf ich Euch so verstehen, Hoheit, dass Euer Standpunkt anders lautet?«
»Wie kann dieser … dieser elende Schuft es wagen … so etwas bloß zu denken! Hört die Wahrheit über Euren so hoch geschätzten Kriegsherrn, Hauptmann! Er ist ein fühlloser Wilder, wie es ihn nicht auf Erden geben dürfte. Niemals habe ich versucht, seinen fluchwürdigen
Onkel umzubringen, obwohl ich mir heute wünsche, ich hätte die Welt von diesem Schandfleck der Natur befreit. Ich habe den Jungen mein Messer überlassen, um ihnen die Zudringlichkeiten eines Lustgreises zu ersparen.«
Die unübersehbare Heftigkeit ihres Zornausbruchs machte Tenragan merklich betroffen, aber anscheinend blieb er entschlossen, unvermindert eher den Angaben des befreundeten Kriegsherrn als ihrer Aussage zu glauben. »Und doch habt Ihr die Halsbänder als Andenken behalten. Aus welchem Grund?«
»Um mich daran zu erinnern, weshalb die ganze verfluchte Wulfskling-Sippe ausgetilgt werden muss.«
Tenragan schnitt eine finstere Miene; dann wendete er plötzlich das Pferd. »Folgt mir, Hoheit, ich möchte Euch gern etwas zeigen.«
Er sprengte voran nach Norden, in die Richtung des Schlachtfelds. Etwas mühsam hetzte Adrina hinterdrein; sie hätte lieber ein Pferd zur Verfügung gehabt, das aus Magie-Zucht stammte, anstatt diesen wohl zähen, aber langweiligen Gaul. Sie spürte die Kälte nicht mehr. Der Zorn erwärmte sie wirksamer als jeder Mantel, als jedes Feuer.
Als sie sich den mit Schnee bedeckten Schanzen näherten, bog Tenragan nach rechts ab und entfernte sich vom Schlachtfeld. Die Krieger, mit denen die vordersten Stellungen bemannt waren, erübrigten für sie wenig Beachtung, ihr Interesse galt ausschließlich allem, was nördlich der Grenze lag. So nah war Adrina seit der Flucht aus Karien der Grenze nie mehr gekommen, und flüchtig regte sich bei ihr die Frage, was Cratyn jetzt
wohl treiben mochte. Er und dieser verdammenswerte hythrische Kriegsherr ergäben ein wahrhaft vortreffliches Paar.
Tarjanian Tenragan ritt ostwärts, bis sie in einigem Abstand vom Schlachtfeld eine niedrige Steinmauer erreichten, die einen hohen, gleichfalls verschneiten Hügel umringte. Bei diesem Anblick blieb Adrina ratlos.
»Ihr seid mit mir an diese Stelle geritten, um mir das da zu zeigen?«
»Es ist ein Grab.«
»Wessen Grab?«
»Die Grabstätte Eurer fardohnjischen Reiter. Der Männer, die in der Schlacht gefallen sind.«
Plötzlich schien Adrina einen dicken Kloß im Hals zu haben. Sie schluckte. Der Erdhügel war riesig. Sind es so viele gewesen? Sie wischte die bitteren Tränen fort, die ihr unvermutet in den Augen brannten.
»Ich glaubte zu wissen, dass Medaloner Tote verbrennen …«
»In der Tat halten wir es so. Erdbestattung ist in Medalon verboten. Aber Damin hat sich dagegengewandt, die Fardohnjer zu verbrennen. Er befahl seinen Kriegern, das Grab auszuheben. Zu Ehren des Kriegsgottes hat er die Gefallenen mitsamt den Waffen bestatten lassen. Euer Hauptmann wurde, weil er königliches Blut hatte, getrennt beerdigt.«
»Tristan! Wo ist er? Wo hat man ihn bestattet?«
Stumm deutete Tenragan auf einen kleinen Steinhaufen südlich des Grabhügels. Adrina sprang aus dem Sattel und hastete hin; ob der Hauptmann ihre Tränen sah, kümmerte sie nicht mehr.
Tristan! O Tristan!
Tenragan stieg vom Ross und folgte ihr langsam; er brachte auch Adrinas Pferd mit. Geduldig wartete er, während sie, das Gesicht in den Händen verborgen, an dem Steinhaufen kniete und dem Gram, den sie so lange unterdrückt hatte, freien Lauf ließ, ohne darauf zu achten, dass der Schnee ihre Reitkluft mit Nässe tränkte. Sie schluchzte, bis ihr die Kehle rau wurde; sie weinte, bis sie keine Tränen mehr zu vergießen hatte.
Schließlich kauerte sie sich auf die Fersen – wie viel Zeit verstrichen war, wusste sie nicht – und wischte sich ein zweites Mal die Augen. Ihre Tränen hatten die Wunde des Verlusts reingewaschen: Nun konnte sie heilen. In diesem Augenblick gewahrte sie die Lage des Steinhaufens im Verhältnis zum großen Grabhügel. Man hatte ihn nach Südwesten angelegt. In die Richtung Fardohnjas.
»Er ist mit Blick in die Heimat bestattet worden …«
»Das hat kein anderer
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