Dämenkind 2 - Kind der Götter
selbst.
Mit einem Schlag vergaß Adrina alle Schwächen Damins, als ein schriller Schmerzensschrei die Stille der Nacht zerriss. Bei diesem Aufheulen prallten sogar die Pferde erschrocken zurück und renkten Adrina beinahe den Arm aus. Unter Aufbietung aller Kräfte versuchten sie und Tamylan die Tiere im Zaum zu behalten, während ganz plötzlich im Hüter-Lager die größte Wirrnis ausbrach.
Fackeln loderten auf, Krieger schwangen sich aus dem Schlaf, Stimmen hallten, Befehle wurden erteilt und widerrufen, und unterdessen gellten ununterbrochen Schreie, die Adrinas Gemüt angriffen.
Das Geschrei stammte von einer Frau. Es klang, wer sie auch sein mochte, als müsste sie auf die fürchterlichste Art und Weise verrecken.
»Sitz auf, Tamylan!«, zischte Adrina eindringlich. Wenn Damin und seine Genossen aus dem Lager flohen, zählte jeder Augenblick. Das Stimmengewirr rückte näher, viele Fackeln leuchteten schon so nah, dass Adrina die Flammen, obwohl das gewellte Gelände die Benutzer dem Blick noch verbarg, deutlich erkennen konnte.
Tamylan erstieg den Sattel des nächstbesten Reittiers, doch entglitten ihr dabei die Zügel der zwei übrigen Pferde. Adrina stieß eine Verwünschung aus und trieb ihr Ross vorwärts, beugte sich hinab, um wenigstens einen der Zügel zu erhaschen.
» Fort! Flieht auf der Stelle!« Sie wandte sich in die Richtung, woher der Zuruf ertönte, sah Damin, Almodavar und einen weiteren Hythrier einen niedrigen Abhang herunterhasten. Ihnen folgten so viele Hüter, dass es unmöglich gewesen wäre, sie zu zählen. Trotz des Warnrufs zögerte Adrina, fühlte sich hin und her gerissen zwischen der Notwendigkeit der Flucht und dem Bedürfnis, sich zuvor davon zu überzeugen, dass Damin den Verfolgern entkam. »Fort!« , brüllte Damin, als er ihr Zaudern bemerkte.
In Massen schwärmten Hüter über die Anhöhe. Etliche trugen Fackeln, deren Flackern unregelmäßigen Schein auf ihre roten Waffenröcke warf, sodass der Hang wirkte, als sprenkelten ihn Blutspritzer. Tamylan gab die Bemühung auf, sich die Zügel eines anderen Pferds zu greifen, und warf ihrer Herrin einen verzweifelten Blick zu.
»Adrina! Lasst uns reiten !«
Noch zögerte Adrina; lange genug, um zu sehen, dass die Hüter erst Almodavar, dann den dritten Hythrier überwältigten. Aber Damin war ihnen noch voraus.
Rücksichtslos wendete Adrina das Ross und galoppierte auf ihn zu. Das Durcheinanderbrüllen der Hüter und die Schreie der Qual, die ohne Unterlass vom Lagerplatz herüberschallten, übertönten Tamylans Einspruch. Die Entfernung zwischen Adrina und Damin
schrumpfte rasch, aber noch schneller schwand der Abstand zwischen ihm und den Hütern.
Der Pfeil, der sich in Adrinas Schulter bohrte, überraschte sie vollständig. Sie stürzte aus dem Sattel, gerade als sie Damin erreichte, und nur Augenblicke verstrichen, bis Hüter über sie beide herfielen.
Bevor sie in Ohnmacht sank, gewahrte sie noch, dass die Schreie verstummt waren.
Als Adrina wieder zur Besinnung kam, lag sie in einem Zelt, das fast nichts als den Mittelpfosten enthielt, welcher das Dach stützte. Auf der anderen Seite des Zelts lag eine fremde Gestalt, die leise stöhnte. Adrina wälzte sich herum. Sofort entfuhr ihr ein Laut der Pein. Ihre Schulter schmerzte grauenvoll, und als sie die Verletzung behutsam befühlte, verklebte Blut ihr die Finger.
Sie versuchte sich daran zu entsinnen, was sich ereignet hatte, jedoch blieb die Erinnerung lückenhaft. Sie wusste noch, dass sie Damin hatte beistehen wollen. Und sie hatte die Schreie im Gedächtnis. Bei allen Göttern, diese Schreie konnte sie mit Gewissheit niemals vergessen.
Irgendetwas hatte sie getroffen, und sie war vom Pferd gestürzt. War Damin entkommen? Ihr war, als hätte sie in seiner Miene helle Wut gesehen. Weshalb ist er so zornig gewesen? Weil ich es gewagt habe, ihm zu Hilfe zu eilen? Das ist so ganz seine Art. Und was, im Namen aller Götter, ist aus Tamylan geworden? Als sie die Sklavin das letzte Mal erblickt hatte, hatte sie verzweifelt versucht, Adrina zurückzurufen. Ist auch sie in Gefangenschaft gera ten?
Was das Los einer Sklavin in einem fardohnjischen Heerlager anbelangte, so unterlag es keinerlei Zweifeln, doch waren die Hüter-Krieger ja bekannt für ihre Zucht und Ordnung. Die Schwesternschaft, deren Führung das Hüter-Heer unterstand, duldete keine Gräuel. Tamylans Abwesenheit konnte bedeuten, dass sie entkommen war – oder tot. Adrina hoffte, dass Ersteres
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