Dämliche Dämonen - Demonkeeper
geweckt. »Du meinst seit Generationen? Seit Jahrhunderten?«
Ungeduldig verzog Nate das Gesicht. Sie mussten endlich losfahren. »Nein, nein.« Er schüttelte den Kopf und bedeutete ihr, ihm aufzumachen. »Viel länger.«
Sandy zog die Augenbrauen hoch, dann öffnete sie die Beifahrertür. Nate stieg ein, und Sandy manövrierte das Auto umständlich auf die Straße.
Als der Volvo davontuckerte, ließ der Dürre Mann die Zeitung sinken und runzelte die Stirn. »Das Kompendium ist im Besitz eines Fremden?!«
28. Kapitel
Der Schnorrer
A n der Second Avenue Ecke Pike Place Market saß ein Junge mit hängenden Schultern und bettelte die Passanten um Kleingeld an. Wenn er welches bekam, bedankte er sich mit knappem Kopfnicken, und wenn nicht, rief er den Leuten etwas Unflätiges hinterher. In dem zerlumpten T-Shirt und mit seinen großen traurigen Augen hatte er beachtlichen Erfolg bei den arglosen Fremden, die in Scharen an ihm vorbeiströmten. Aber diejenigen, die öfter am Pike Place Market waren, wussten, dass der Junge, der so arm und abgerissen aussah, Hundert-Dollar-Turnschuhe im Rucksack hatte. Nach einem langen Betteltag stieg er regelmäßig in die schimmernden weißen Schuhe, um mit breitem Grinsen seine Ausbeute zu zählen.
Während der Junge seine einstudierte Elendsmiene von einem Passanten zum nächsten wandern ließ, hörte er auf einmal eine bekannte Stimme.
»Hey, Schnorrer!« Richie trat näher und hob die Hand zum Abklatschen.
Als er Richie sah, ließ der Angesprochene seinen kraftlosen Dackelblick fallen und lächelte.
»Hey, Richie, willst du dich nicht’ne Weile zu mir setzen?«, fragte er. »Wir könnten so tun, als wären wir Waisenbrüder.«
»Ich bin Waise«, erklärte Richie.
»Ja, aber wir sind keine Brüder.« Der Schnorrer lachte. Das tat er oft, auch wenn etwas gar nicht lustig war.
»Ich kann nich mit dir abhängen, Alter«, sagte Richie. »Ich muss in Bewegung bleiben.«
»Wieso? Suchen dich die Bullen?«
»Nö. Aber ich hab trotzdem das Gefühl, es ist besser, nicht zu lange an einem Ort zu hocken.«
»Ich weiß, was du meinst.« Der Schnorrer grinste. »Bis dann, Kumpel.«
»Ja, bis dann.«
Es schmerzte Richie, einfach so auf einen schlagkräftigen Gefährten zu verzichten, der ihm im Notfall beistehen konnte, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass es gefährlicher war, bei ihm zu bleiben.
Wenige Minuten nach Richies Stippvisite beschloss der Schnorrer, den Standort zu wechseln. Er nahm die Sammelmütze und das Bitte-eine-kleine-Spende-Pappschild und stopfte beides in den Rucksack. Das Geschäft lief nur noch schleppend. Es gab andere Straßenecken, wo er für eine andere Menschenmenge ein neues Gesicht sein würde. Er fischte die schneeweißen Turnschuhe aus dem Rucksack und tauschte sie gegen die abgewetzten Sandalen mit den löchrigen Sohlen.
Gleich um die Ecke bildete sich in einer dunklen Gasse eine fußballgroße Blase im Straßenbelag. Sie wurde zu einem breiten Asphaltschädel, in dem zwei gelbe Augen leuchteten. Sie blinzelten einmal, während das Gebilde weiter aus der Straßendecke hervorquoll, und starrten dann funkelnd die Gasse hinab, wo sie den Schnorrer ins Visier nahmen.
Er wäre fast an der Seitenstraße vorbeigegangen. Aber seine Sucht war zu stark. Er wollte in Ruhe eine Zigarette rauchen. So verdrückte er sich um die Ecke und kramte die Schachtel aus der Tasche.
Das Ungeheuer schälte sich nun vollends aus dem Asphalt. Es wandte die Nüstern in Richtung der feinen Rauchfahne, die von der Zigarette des Schnorrers aufstieg, während es die massigen Arme aus dem Straßenbelag zog.
Der Junge hatte noch nicht an der Zigarette gezogen. Er hielt sie bloß vor sich hin und blickte versonnen den geheimnisvollen weißen Schlangenlinien nach, die von der Glut aufstiegen. Dann setzte er die Zigarette an die Lippen, um den ersten Zug zu nehmen, und plötzlich: Wumm! Wie aus dem Nichts rammte ihn etwas Schweres und schleuderte ihn durch die Luft. Wie durch ein Wunder landete er auf den Beinen und ergriff augenblicklich die Flucht. Er wusste nicht einmal, was ihn da gerammt hatte, aber es war groß, es knurrte, und es war direkt hinter ihm. Er hetzte weiter in die Gasse hinein.
Die Jagd war kurz. Das jahrelange Rauchen forderte seinen Tribut. Der Schnorrer keuchte und geriet ins Stolpern. Dabei beging er den Fehler, sich umzuschauen, und blieb mit dem Turnschuh an einer Erhebung im Asphalt hängen, so dass er der Länge nach hinfiel. Die Welt
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