Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Daemmerung der Leidenschaft

Daemmerung der Leidenschaft

Titel: Daemmerung der Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
Vom Netzwerk:
ob sie blind geworden sei.
    Tante Gloria stürmte trotz Onkel Harlans verspätetem Versuch, sie aufzuhalten, ins Zimmer, Lucinda dicht auf den Fersen. Beide Frauen blieben abrupt stehen und nahmen voller Entsetzen und Fassungslosigkeit die schaurige Szene in sich auf. Lucinda starrte das Bild an, das ihre beiden Enkelinnen boten, und wurde totenbleich. Sie begann zu zittern.
    Tante Gloria legte den Arm um ihre Schwester und starrte Roanna mit wildem Blick an. »Mein Gott, du hast sie umgebracht«, blubberte sie und klang mit jedem Wort hysterischer. »Harlan, ruf den Sheriff!«
    In der Auffahrt und dem Vorhof parkten kreuz und quer die Fahrzeuge, und an der willkürlichen Anordnung und den teilweise noch brennenden Scheinwerfern, die unheimliche Strahlen in die dunkle Nacht sandten, sah man die Eile, in der die Gesetzeshüter angebraust gekommen waren. Hinter allen Fenstern des großen Hauses brannte Licht, und drinnen wimmelte es nur so von Leuten, die meisten davon in den braunen Uniformen der Polizei, einige Sanitäter in Weiß.
    Die ganze Familie war, bis auf Webb, im geräumigen Wohnzimmer versammelt. Großmutter saß mit hängenden Schultern da, weinte leise vor sich hin und knetete mit gramverzerrten Zügen ein Spitzentaschentuch. Tante Gloria saß neben ihr, streichelte sie und sprach ihr leise Trostworte zu. Onkel Harlan stand hinter ihnen und wippte auf den Zehenspitzen vor und zurück, während er wichtigtuerisch Fragen beantwortete und zu jeder Theorie und jedem Detail hilfreich seine Meinung kundtat. Er genoß die Aufmerksamkeit, die ihm ob seines Glücks, als erster auf der Bildfläche erschienen zu sein, zuteil wurde – natürlich abgesehen von Roanna.
    Roanna saß ganz für sich allein, am anderen Ende des Raums. Ein Hilfssheriff stand bei ihr. Sie war sich dumpf bewußt, daß er als Wache fungierte, doch das berührte sie nicht.
    Sie saß vollkommen still da, die Augen wie dunkle Seen in einem kalkweißen Gesicht. Ihr Blick schien nichts wahrzunehmen und gleichzeitig alles zu erfassen, während sie, ohne zu blinzeln, ihre Familie anstarrte.
    Sheriff Samuel »Booley« Watts blieb im Türrahmen stehen und beobachtete sie, wobei er ein wenig unbehaglich überlegte, was wohl in ihr vorgehen mochte, wie sie sich fühlen mußte, angesichts dieser stummen aber unmißverständlichen Anprangerung. Er musterte ihre dünnen nackten Ärmchen, sah, wie zart und zerbrechlich sie in ihrem weißen Nachthemd aussah, das nicht viel weißer war als ihr Gesicht. Ihr Puls schlug deutlich sichtbar in ihrer Halsschlagader, doch er war viel zu schnell und zu schwach. Mit seiner dreißigjährigen Erfahrung als Polizist wendete er sich an einen seiner Deputies und sagte leise: »Einer der Notärzte soll herkommen und sich das Mädchen mal ansehen. Sieht aus, als ob sie unter Schock steht.« Sie mußte unbedingt bei klarem Verstand und Bewußtsein sein, um seine Fragen beantworten zu können.
    Der Sheriff kannte Lucinda fast sein ganzes Leben lang. Die Davenports waren seit jeher wichtige Geldgeber, wenn es um seine Wiederwahl als Sheriff ging. Da Politik nun mal Politik war, hatte er der Familie über die Jahre hinweg mehr als einen Gefallen erwiesen, doch abgesehen davon beruhte ihre langjährige Beziehung auf echter Zuneigung. Marshall Davenport war ein harter, schlauer Hundesohn gewesen, aber auch ein ehrlicher. Booley empfand nichts als Hochachtung für Lucinda, für ihre innere Stärke, für die Art, wie sie sich weigerte, ihre hohen Moralvorstellungen einer Zeit zunehmender Nachlässigkeit und Korruption anzupassen; außerdem bewunderte er ihre Nase für Geschäfte. In den langen Jahren nach Davids Tod, bis Webb alt genug war, um ihr ein wenig von der Verantwortung abzunehmen, hatte sie ganz allein ein Imperium beherrscht, das riesige Anwesen geleitet und dazu noch zwei verwaiste Enkelinnen großgezogen. Zugegeben, es stand ihr ein unanständiger Haufen Geld zur Verfügung, um ihr ihre Aufgabe ein wenig zu erleichtern, aber die emotionale Bürde lastete auf ihr wie auf jedem anderen.
    Lucinda hat einfach zuviele ihrer Lieben verloren, dachte er. Sowohl die Davenports als auch die Tallants hatten frühe, plötzliche Verluste einstecken müssen, viel zu junge Familienmitglieder verloren. Lucindas geliebter Bruder, der erste Webb, war erst Anfang vierzig gewesen, als ein Stier ihn auf die Hörner nahm. Sein Sohn Hunter war einunddreißigjährig mit seinem kleinen Sportflugzeug in einem schrecklichen Sturm in Tennessee

Weitere Kostenlose Bücher