Daemmerung der Leidenschaft
diesem Augenblick, über sie ausspie.
»Ich hasse dich«, flüsterte sie leise, womit natürlich ihre Cousine gemeint war. Roanna kauerte sich nieder und kuschelte sich wie ein ängstliches kleines Tierchen an die Küchenschränke. Ihr Herz zerriß ihr mit seinem Hämmern schier die Brust, so daß sie einer Ohnmacht nahe war. »Ich wünschte, du wärst tot.«
5
Roanna lag fest zusammengerollt in ihrem Bett. Ihr war eiskalt vor Grauen, trotz der schwülen Sommernacht, und Schlaf lag ihr noch genau so fern wie zu dem Zeitpunkt, als sie es endlich geschafft hatte, sich nach oben in ihr Zimmer zu flüchten.
Die Stunden, seit Jessie mitten in ihren Kuß hereinplatzte, hatten den reinsten Alptraum heraufbeschworen. Der Aufruhr sprengte natürlich alle aus den Zimmern. Fragen erübrigten sich, denn Jessie kreischte ihre Anschuldigungen und wüsten Beschimpfungen durchs ganze Haus, während Webb sie die Treppe hinaufzerrte; aber sowohl Großmutter als auch Tante Gloria hatten dennoch Roanna mit endlosen Fragen und Anschuldigungen bombardiert.
»Wie konntest du es nur wagen, so weit zu gehen?« hatte Großmutter gebellt und Roanna mit einem ebenso kalten Blick gemessen wie zuvor Webb, aber Roanna war stumm geblieben. Was sollte sie auch sagen? Sie hätte ihn nicht küssen dürfen, das wußte sie. Daß sie ihn liebte, war keine Entschuldigung, zumindest keine, die etwas an der einhelligen Verurteilung durch sämtliche Anwesende ändern würde Genausowenig kam es in Frage, sich zu verteidigen, indem sie auf Jessies Verhalten hinwies. Webb mochte sie jetzt ja hassen, aber dennoch würde sie nichts verraten, das ihn zu etwas Unüberlegtem veranlassen könnte. Lieber nahm sie alle Schuld auf sich, als daß er sich in Gefahr begäbe. Und im Grunde entschuldigte Jessies Verhalten auch nicht das ihre. Webb war ein verheirateter Mann; sie hätte ihn auf keinen Fall küssen dürfen. Innerlich wand sie sich vor Scham über ihr unglaubliches, impulsives Verhalten.
Die Schlacht, die oben tobte, war die ganze Zeit über für jedermann hörbar. Mit Jessie konnte kein Mensch vernünftig reden, wenn sie nicht ihren Willen bekam, vor allem in Sachen Eitelkeit. Ihr Gekreische zerschnitt das tiefe Brummen von Webbs Stimme. Sie schleuderte ihm die wüstesten Beschimpfungen um die Ohren, Worte, die Roanna noch nie zuvor laut ausgesprochen gehört hatte. Großmutter war gewöhnlich bereit, alles zu entschuldigen, was Jessie tat; aber selbst sie zuckte bei den Obszönitäten zusammen, die dort oben fielen. Roanna mußte sich gefallen lassen, wie sie als Hure, als pferdegesichtiges Weibsbild und dumme Kuh bezeichnet wurde, die nur für einen Fick im Stall gut war. Jessie drohte, Großmutter dazu zu bringen, daß sie Webb aus ihrem Testament strich – Roanna warf Lucinda bei diesen Worten einen erschrockenen Blick zu, lieber wäre sie gestorben, als Webb um sein Erbe zu bringen; aber die alte Lady zog angesichts dieses Ausbruchs lediglich überrascht eine ihrer eleganten Brauen hoch –, und daß sie Webb wegen Verführung Minderjähriger verhaften lassen würde.
Natürlich glaubten Lucinda und ihre Schwester unbesehen, daß sie also mit Webb geschlafen hatte, und fielen deshalb sofort wieder mit ihren Anschuldigungen über sie her. Nur Onkel Harlan zog seine dichten grauen Augenbrauen hoch und sah ein wenig belustigt drein. Zutiefst beschämt und verzweifelt, schüttelte Roanna lediglich den Kopf, da sie nicht wußte, wie sie sich hätte verteidigen, die Familie hätte überzeugen können.
Webb war nicht der Mann, der Drohungen tatenlos hinnahm. Bis dahin tobte er lediglich verbal, hatte sein Temperament unter Kontrolle gehalten. Doch nun gab es einen lauten Krach, man hörte das Splittern von Glas, und dann brüllte er: »Dann laß dich doch scheiden, verdammt nochmal! Ich werde alles tun, um dich endlich loszuwerden!«
Anschließend polterte er die Treppe herunter, mit steinernem Gesicht, die grünen Augen kalt glimmend. Sein flammender Blick streifte Roanna und seine Augen verengten sich, so daß sie erschauerte, aber er blieb nicht stehen. »Webb, warte«, sagte Großmutter und streckte die Hand nach ihm aus, um ihn aufzuhalten. Er ignorierte sie und warf die Haustür krachend hinter sich zu. Einen Moment später sahen sie, wie die Scheinwerfer seines Autos über den Rasen jagten.
Roanna wußte nicht, ob er inzwischen nach Hause gekommen war, da ins Innere nur sehr laute Motorengeräusche drangen. Mit brennenden Augen starrte sie zur
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