Daemmerung der Leidenschaft
ganz scharf darauf gewesen, sie zu heiraten. Jessie gehörte ihm, seit jenem lang zurückliegenden Tag auf der Schaukel unter der großen alten Eiche, als sie ihren ersten Kampf um Vorherrschaft ausfochten.
Hatte er sie aus purer Eitelkeit geheiratet, weil er ihr beweisen wollte, daß ihre Tricks und Spielchen bei ihm nicht funktionierten? Wenn er ehrlich war, dann traf das teilweise leider zu. Aber der andere Teil war Liebe, eine seltsame Liebe, die sich zur Hälfte aus einer gemeinsamen Kindheit zusammensetzte, einer gemeinsamen Rolle im Leben, und aus der sexuellen Faszination, die seit der Teenagerzeit zwischen ihnen bestanden hatte. Nicht gerade eine stabile Basis für eine Ehe, das wußte er jetzt. Der Sex hatte verdammt schnell seine Faszination verloren, und ihre alten Bande waren nicht stark genug gewesen, um sie über Krisen hinweg zusammenzuhalten.
Jessie hatte also mit einem anderen Mann geschlafen. Mit anderen Männern, nach allem, was er von ihr wußte. So, wie er Jessie kannte, war ihm klar, daß sie es wahrscheinlich aus Rache getan hatte, weil er nicht auf jeden Wink herbeigesprungen war. Sie mobilisierte beinahe alles, wenn sie ihren Willen nicht bekam; aber der Gedanke an Betrug kam ihm niemals. Ihr Ruf in Tuscumbia und im Colbert County war ihr viel zu wichtig, und hier handelte es sich ja auch nicht um eine dieser schnellebigen Großstädte, wo man einen Liebhaber wechselte wie die Hemden, ohne daß sich jemand darum scherte. Das hier war der Süden, in vieler Hinsicht sogar noch der alte Süden, wo Ruf und Benehmen alles bedeuteten, zumindest auf den mittleren und oberen Sprossen der Gesellschaft.
Aber sie hatte nicht nur mit einem anderen geschlafen, sondern dabei nicht mal auf Verhütung geachtet. Auch aus Rache? Hatte sie gedacht, was für ein köstlicher Spaß es doch wäre, ihm einen Bastard unterzuschieben?
In einer einzigen, höllischen Woche war seine Frau ermordet worden, seine ganze Existenz zerstört, und seine Familie hatte sich gegen ihn gewandt. Er war vom Prinzen zum Geächteten geworden.
Das alles hatte er gründlich satt. Die Bombe, die Booley heute losgelassen hatte, bildete nur die Krönung. Er hatte jahrelang wie ein Wilder geschuftet, um der Familie den Lebensstil zu erhalten, an den sie gewöhnt war; nämlich ein Leben in Luxus! Dafür hatte er sein Privatleben und jede Chance, einen Erfolg aus seiner Ehe mit Jessie zu machen, geopfert. Aber als er seine Angehörigen gebraucht hätte, als sie hinter ihm hätten stehen und ihn unterstützen müssen, war niemand dagewesen. Lucinda hatte ihn zwar nie direkt beschuldigt, doch auch nicht zu ihm gehalten, und er war es leid, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Was Gloria und Harlan und den ganzen Haufen anging, mochten sie doch an ihrer Bosheit ersticken! Nur Mutter und Tante Sandra glaubten an ihn.
Roanna. Was war mit ihr? Hatte sie diesen ganzen Alptraum ins Rollen gebracht, hatte sie Jessie einen Schlag versetzen wollen, ohne an die Folgen für ihn zu denken? Irgendwie war Roannas Verrat bitterer als der der anderen. Er hatte sich so an ihre kritiklose Liebe gewöhnt und an den Trost, den ihm ihre Gesellschaft bot. Ihr Ungestüm, ihr Witz und ihre unvorsichtige Zunge hatten ihm Freude bereitet, hatten ihn zum Lachen gebracht, selbst wenn er vor Müdigkeit fast umfiel. Penisverlängerung, also wirklich, dieser Fratz!
Bei der Beerdigung hatte sie gesagt, daß sie die Szene in der Küche nicht absichtlich inszeniert hätte; aber die Schuldgefühle und die Verzweiflung waren nur zu deutlich in ihr Gesichtchen geschrieben gewesen. Vielleicht ja, vielleicht nein ... Aber auch sie war ihm aus dem Weg gegangen, wo er doch seine Seele für ein wenig Trost verkauft hätte. Booley hielt Roanna für unschuldig, aber Webb konnte den Ausdruck von Haß auf Roannas Gesicht einfach nicht vergessen oder die Tatsache, daß sie eine verführerische Gelegenheit gehabt hätte. Jeder im Haus hätte es sein können, aber einzig und allein Roanna haßte Jessie.
Es war ihm ein Rätsel. Er hatte seinen Mund gehalten, um sie zu schützen, obwohl sie nicht eindeutig seine Partei ergriff. Auch hatte er für sich behalten, daß Jessies Baby nicht seins war, und damit einen möglichen Mörder ungeschoren davonkommen lassen, weil der Hauptverdacht ohnehin auf ihm lag. Er war das alles so gottverdammt leid.
Zur Hölle mit ihnen allen!
Er hielt den Wagen auf der Auffahrt an und starrte zum Haus hinauf. Davenport. Es war die Verkörperung all seiner
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