Daemmerung der Leidenschaft
Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die Jessie ums Leben brachte und Webb aus ihrer aller Nähe verbannte; also nahm sie grimmig die Aufgabe der Sühne auf sich. Sie konnte Jessie, was Lucindas Liebe zu ihr betraf, nicht ersetzen; aber zumindest konnte sie aufhören, permanent eine Last und Enttäuschung zu sein.
Sie war aufs College gegangen – an die University of Alabama und nicht auf das exklusive Mädcheninternat, mit dem die Familie vorher geliebäugelt hatte – und absolvierte ein Wirt schaftsstudium, damit sie Lucinda eine Hilfe bei der Führung des Unternehmens sein konnte – um Webb mehr schlecht als recht zu ersetzen. Roanna mochte ihr Studium überhaupt nicht, aber sie zwang sich, fleißig zu lernen und gute Noten zu bekommen. Die damit einhergehende Langeweile war wenig genug als Wiedergutmachung für das, was sie angerichtet hatte.
Sie zwang sich zu lernen, wie man sich kleidete, um Lucinda die häufigen Verlegenheiten zu ersparen. Auch einen Kurs machte sie, zur Verbesserung ihres lausigen Autofahrens; sie lernte tanzen und wie man sich schminkte, wie man höflich Konversation machte und gesellschaftlich akzeptabel wurde. Jenen Überschwang merzte sie aus, der sie als Kind so oft in Schwierigkeiten gebracht hatte – es war gar nicht schwer gewesen. Seit Webbs Weggang hatte sie mehr Probleme damit, überhaupt etwas Freude am Leben aufzubringen, als umgekehrt.
Nichts Schlimmeres konnte sie sich vorstellen, als Webb erneut gegenübertreten zu müssen.
»Und wenn er nicht will?« wandte sie ein.
»Dann überrede ihn«, schnauzte Lucinda. Dann seufzte sie und ihr Ton wurde sanfter. »Er hatte schon immer eine Schwäche für dich. Ich brauche ihn hier. Wir brauchen ihn. Du und ich, wir beide zusammen haben die Dinge am Laufen gehalten; aber mir bleibt wenig Zeit, und du bist nicht mit dem Herzen bei der Sache, so wie Webb. Wenn es um Geschäfte ging, hatte Webb das Gehirn eines Computers und das Herz eines Haifischs. Er war ehrlich, aber gnadenlos. Das findet man nur selten, Roanna, da gibt es nur schwer einen Ersatz.«
»Das könnte auch der Grund sein, warum er uns nicht verzeiht.« Roanna verriet keinerlei Reaktion auf die Art, wie Lucinda ihre Fähigkeiten, das Familienimperium zu leiten, abqualifizierte. Es war leider die Wahrheit; genau deshalb ruhte die überwiegende Last der Entscheidungen noch immer auf den zunehmend schwächer werdenden Schultern der Großmutter, während Roanna lediglich eine unterstützende Funktion erfüllte. Sie gab sich unerhörte Mühe, hatte sich mit eisernem Willen in die Arbeit gekniet, tat, was sie konnte – doch auch ihr Bestes würde nie genug sein, das mußte sie akzeptieren, und sie schützte sich, indem sie es nicht wirklich an sich heranließ. Seit zehn Jahren ließ sie nichts mehr an sich heran.
Lucindas runzliges Gesicht verzerrte sich vor Kummer. »Täglich fehlt er mir all die Jahre«, sagte sie leise. »Ich werde mir nie verzeihen, was ich ihm angetan habe. Es wäre an mir gewesen, ihm öffentlich mein Vertrauen auszusprechen; statt dessen habe ich mich in meinem Kummer gewälzt und nicht an seinen gedacht. Es macht mir nichts aus zu sterben; aber ich kann nicht in Frieden gehen, bevor ich die Dinge zwischen ihm und mir nicht ins Lot gebracht habe. Wenn ihn jemand zurückholen kann, dann nur du, Roanna.«
Roanna sagte Lucinda nichts davon, daß sie Webb auf Jessies Beerdigung die Hand geboten hatte und kalt abgewiesen worden war. Persönlich glaubte sie, daß sie weniger Chancen hatte, Webb zu einer Rückkehr zu bewegen, als jeder andere – aber da war noch etwas, was sie sich selbst beigebracht hatte: wenn sie ihre Gefühle nicht unterdrücken konnte, dann schloß sie sie tief in sich ein. Wenn sie sie nicht zeigte, bemerkte auch niemand deren Vorhandensein.
Ihr Inneres spielte keine Rolle; wenn Lucinda Webb zurückhaben wollte, dann würde sie tun, was sie konnte, ohne Rücksicht auf sich selbst. »Wo ist er?«
»In irgendeinem gottverlassenen Nest in Arizona. Ich werde dir die Akte zeigen, die der Privatdetektiv über ihn angelegt hat. Er ... er ist recht erfolgreich mit einer Ranch dort, nicht mit Davenport vergleichbar, natürlich; aber Webb gelingt immer etwas.«
»Wann soll ich hinfahren?«
»So bald wie möglich. Wir brauchen ihn. Ich brauche ihn – um Frieden mit ihm zu schließen, bevor ich sterbe.«
»Gut, ich werde es versuchen«, sagte Roanna.
Lucinda blickte ihre Enkelin lange an, dann lächelte sie müde. »Du bist die
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