DAEMON
nicht geschlafen und kaum etwas gegessen, aber er konnte sich einfach nicht aus dem Houstoner Monte-Cassino-Server ausloggen, ohne diese Map geknackt zu haben. Am nächsten dran war er gestern gewesen, als er es bis in den Weinkeller geschafft hatte. Dort hatte ihn ein S S-Offizier von hinten erschossen, nachdem Gragg an einer Reihe Weinfässer vorbeigestürmt war.
Und das war es, was Gragg die letzten vierundzwanzig Stunden umgetrieben hatte: Nachdem ihn der S S-Offizier umgelegt hatte, war er an seinen Leichnam herangetreten. Es war der berüchtigte Oberstleutnant Heinrich Boerner aus dem Einzelspielermodus von
OTR
gewesen. Und was noch gespenstischer war: Boerner hatte mit Graggs Leichnam geredet. «Der Tod ist unvermeidlich, aber meist unbedeutend», hatte er auf Deutsch gesagt, und am unteren Rand des Bildschirms war eine englische Untertitelung erschienen.
Wie zum Teufel hatten sie das gemacht? Es war haargenau dieselbe Boerner-Stimme wie auf dem Original-Single-Player-Spiel.
War diese Custom-Map von den CyberStorm-Leuten selbst erstellt worden? Gragg hatte nur das eine Ziel im Kopf, wieder bis in den Weinkeller zu kommen. Er musste herausfinden, was Boerner dort machte. Nur dass er sich diesmal von dem Mistkerl nicht hinterrücks erschießen lassen würde. Aber andererseits wusste er nur zu gut, was für ein gerissenerCharakter dieser Boerner war – jemand, der wohl kaum zweimal dieselbe Taktik anwenden würde. Gragg nahm sich vor, sich Handgranaten für den Keller aufzusparen.
Die nächste Runde begann weitgehend mit den üblichen Mitspielern – ähnlich besessenen Typen, die auf dieses süchtig machende Spiel fluchten und unbedingt das Kloster einnehmen wollten, bevor sie sich völlig übermüdet ihrem nächsten Arbeitstag stellen mussten. Diesmal achtete Gragg darauf, einem Spieler zu folgen, der den Screenname «Major Hellhound» trug. MHH war ein guter Spieler mit schnellen Reflexen, der die Tastenkombinationen fürs Springen, Wechseln von Waffen und Um-Ecken-Spähen ausgezeichnet beherrschte. Gragg robbte während des gesamten Vordringens über die Flanke hinter ihm her und klebte auch an seinen Fersen, als es in die Klosterruine zu stürmen galt. MHH absorbierte den Großteil des Schmeisser- und M G-Beschusses . Als MHH schließlich mit einer Panzerfaust endgültig erledigt wurde, war Gragg schon tiefer in der Ruine drinnen, als er es jemals vorher ohne schwere Verwundungen geschafft hatte.
Er schaltete den Panzerfaust-Trupp mit ein paar Schüssen aus seiner Pumpgun aus – seiner bevorzugten Waffe für diese Map. In der Enge der Ruinen war ein Scharfschützengewehr nutzlos.
Dann stürmte Gragg vorwärts und drückte eine Befehlstaste, die seinen Avatar «Mir nach!» rufen ließ. Er lief auf den Dormitoriumsflur zu, wo ihn das nächste Problem erwarten würde.
An der Ecke drückte Gragg die Tastenkombination, um sich vorzubeugen und nach links zu blicken. Schnell erspähte er das M G-Nest dreißig Meter den zum Himmel hin offenen, mit Trümmern übersäten Gang hinab. Der Lader zeigte auf ihn und rief etwas, der Schütze richtete das MG aus undbegann genau in dem Moment zu feuern, als Gragg den Kopf wieder zurückzog. Kurz pfiffen Leuchtspurgeschosse an ihm vorbei, dann beschlossen die Krauts anscheinend, Munition zu sparen.
Es war ein faszinierend realistisches Spiel.
Gragg drehte seinen Avatar um und stellte fest, dass hinter ihm fünf weitere Alliierten-Kämpfer herangekommen waren. Phantastisch. Noch nie hatten es so viele von ihnen so weit geschafft. Das hieß, dass nur zehn von sechzehn Mann bei der Erstürmung getötet worden waren – ein Überlebensrekord. Er drückte wieder die Befehlstaste, und sein Avatar rief «Vorwärts!».
Er rannte quer über den Flur zu einer flachen Nische, die er schon kannte, worauf das MG42 am Ende des Flurs sofort wieder zu feuern begann. Sein Lebenspunkteanzeiger sank rasch auf 20, ehe er die Nische erreichte. Die Spieler hinter ihm versuchten, sich ebenfalls in die Nische zu drücken, aber Gragg wusste, dass sie immer nur einem Spieler Platz bot. Die anderen Avatare prallten gegen seinen, ohne Deckung zu finden, und die Deutschen mähten sie nieder. Drei weitere Spieler waren jenseits des Flurs in Deckung geblieben und lieferten sich mit dem MG 42 einen Schusswechsel, bis Gragg endlich hörte, worauf er gewartet hatte: Stille aus der Richtung des Kraut-MG. Sie luden nach.
Gragg wechselte auf Handgranaten und stürmte vorwärts. Als er über die
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