DAEMON
Tausende von I P-Adressen gesendet.»
«Was für Pakete?»
«Befehle vermutlich.»
«An
Tausende
von Adressen?»
Ross nickte.
«Himmel. Würden die Feds das herauskriegen?»
«Klar doch. Der Programmtyp, den ich bei Alcyone gestoppt habe, ist ziemlich gängig. Ein sogenannter
Daemon
. Er läuft im Hintergrund und wartet, bis ein bestimmtes Ereignis eintritt. Gewöhnlich ist es etwas Simples, zum Beispiel ein Druckauftrag. In diesem Fall wäre es die Nachricht von Sobols Tod. Dann aktiviert er sich.»
«Und löst die Todesfallen aus.»
Ross nickte. «Möglich wär’s.»
«Da gibt es nur ein Problem. Sobol könnte mich nicht anrufen. Ich habe aber heute Morgen einen Anruf von jemandem bekommen, der sich als FB I-Agent ausgab. Er hat mir gesagt, ich solle meine E-Mails checken – und darüber bin ich dann auf Sobol gekommen. Also koordiniert doch jemand anders das Ganze.»
Ross schüttelte den Kopf. «Es könnte VOIP gewesen sein – Internet-Telefonie.»
Sebeck sah ihn grimmig an. «Bin ich in eine verdammte Zeitmaschine geraten? Habe ich die letzten zehn Jahre verschlafen oder was?»
«Bei Unternehmen ist Internet-Telefonie seit Jahren üblich. Es spart Telefonkosten, wenn man gesprochene Kommunikation über Internetserver laufen lässt statt über Ferngesprächsleitungen.»
«Sie wollen mir erzählen, dass dieses Daemon-Programm mit Leuten telefonieren kann?»
«Eine vorher aufgezeichnete Botschaft über eine Telefonleitungablaufen zu lassen ist leicht. Der Daemon könnte nach Maßgabe dessen, was er in den Nachrichten gelesen hat, die Sequenz steuern und die Anrufe timen.»
«Dann ist es also kein Computer, der da spricht? Jemand muss die Nachricht vorher aufgenommen haben?»
«Vermutlich ja. Obwohl es auch Programme gibt, die Text-Streams in ziemlich überzeugende synthetische Stimmen umsetzen. Rufen Sie mal bei der Reservierung irgendeiner Fluggesellschaft an – da sprechen Sie ziemlich bald mit einem Computer. Solche Programme benutzt man, um Flugpläne, Kreditkartenkontostände und dergleichen durchzugeben.»
Wieder fuhren sie ein Weilchen schweigend weiter.
Schließlich seufzte Sebeck. «Na ja, wenigstens haben Sie den Alcyone-Server gestoppt. Das wird die Pläne des Mörders durcheinanderbringen – ob er nun tot ist oder lebt.»
Ross schien nicht sonderlich beruhigt. «Sie sollten wirklich mal eins von Sobols Spielen spielen, Sergeant.»
9 Der Oberstleutnant
Over the Rhine
war der erste Ego-Shooter, nach dem Brian Gragg je süchtig geworden war. Er hatte schon eine ganze Menge P C-Actionspiele gespielt und gemeistert. Alle hatten eine Wahnsinns-3 D-Graphik , realistische Physik-Engines, 32 Stimmen/Soundprogramme, viele Levels und Multiplayer-Internetfeatures. Aber
OTR
war anders: Die KI war beängstigend clever.
Wo in anderen Spielen der Feind Welle um Welle zur Tür hereinflutete, nur um niedergemetzelt zu werden, setzte die K I-Engine von
OTR
die Nazisoldaten realistisch ein. Bei Häuserdurchsuchungen lösten sich drei, vier Mann vom Haupttrupp, um Türen einzutreten. Wenn man zwei oder gar drei von ihnen erschoss, blies der Offizier auf der Straße in seine Trillerpfeife und bellte Befehle. Dann brachte man besser seinen Arsch in Sicherheit, weil gleich Dutzende Soldaten das Haus umstellen würden. Sie stürmten es aber nicht einfach wie blinde Automaten. Vielmehr gingen sie hinter Mauern und Fahrzeugen in Deckung und brüllten auf Deutsch, man solle herauskommen. Wenn man dem nicht Folge leistete (wie käme man auch dazu?), fingen sie an, Handgranaten durch die Fenster zu werfen, oder steckten das Haus in Brand. Und wenn man durch ein Fenster nachsehen wollte, was sie machten, riskierte man, dass einem ein Scharfschütze das Licht ausblies.
Aber noch mehr faszinierte Gragg, dass sie nicht jedes Mal gleich vorgingen. Es gab schlaue und dumme Soldaten undunterschiedlich fähige Nazioffiziere. Wenn man sich an einem besonders gut zu verteidigenden Ort verschanzt hatte, konnte es sein, dass sie ein Sturmgeschütz auffuhren, um das ganze Gebäude in Trümmer zu schießen – oder schlimmer noch, einen Flammenwerfer. Und wenn die Belagerung eine Weile dauerte, erschien die SS und übernahm, und was dann kam, war klar: S S-Oberstleutnant Heinrich Boerner, ein so verschlagener, ausgebuffter Gegner, dass diese fiktive Figur bei der Games-Messe E3 zur Cause célèbre geworden war. Über dem Stand von CyberStorm Entertainment hing ein riesiges Banner mit seinem Gesicht. Er war die
Weitere Kostenlose Bücher