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DAEMON

DAEMON

Titel: DAEMON Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Suarez
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Nauru waren eine tote Wüste, über die lungenverstopfender, talkumartiger Staub wehte. So systematisch war hier alles Leben abgetragen worden, dass die Nauruer erwogen hatten, sich eine neue Insel zu kaufen, um ihren gesamten Staat woandershin zu verlegen – und bei der UNO eine Nachsendeadresse zu hinterlassen. Doch dann hatte sich fast das gesamte Vermögen des Zwergstaates durch Investmentskandale in Luft aufgelöst, und die Nauruer mussten sich der bitteren Realität stellen: Sie würden nirgends hingehen.
    Die gesamte Bevölkerung von 10   000   Südseeinsulanern lebte jetzt auf einem schmalen Streifen Sand und Palmen rings um die Insel – die zu einem Viertel von einem Flughafen okkupiert war – und versuchte, den ökologischen Albtraum des Inselinneren zu ignorieren.
    Noch nie vorher hatte Anji Anderson ein ganzes Land in zwanzig Minuten besichtigt. Danach war ihr klargeworden, dass man auf Nauru nur drei Dinge tun konnte: sich betrinken, der Vergangenheit nachjammern oder sich im internationalen Geldwäschegeschäft betätigen. Nach den Privatjets auf dem Flughafen und dem Wald von Satellitenantennen zu urteilen, lag in Letzterem Naurus Zukunft.
    Die internationale Staatengemeinschaft verurteilte offiziell Geldwäschezentren mit laxem Banken- und Firmenrecht und dafür umso umfassenderem Datenschutz – aber andererseits kam jede Regierung irgendwann in die Versuchung, Gebrauch von ihnen zu machen. Der Daemon hatte Anderson vor ihrer Blitztour durch Offshore-Steuerparadiese auf eine Informationswebsite verwiesen, und die hatte ihr die Augen geöffnet. Solche Strukturen wurden nicht nur geduldet, sondern in einigen Fällen sogar von mächtigen Staaten und Weltkonzernen gefördert. Geheimdienste mussten Informanten Gelder zukommen lassen, die nicht zurückverfolgtwerden konnten, oder Operationen in diversen Krisen- und Demnächst-Krisengebieten finanzieren. Konzerne mussten Leuten in Schlüsselpositionen Anreize bieten können, ohne von Investorengruppen oder Regulationsbehörden behindert zu werden. Dazu brauchte es Orte, die abseits der öffentlichen Wahrnehmung lagen. Das zwölfhundert Meilen von der nächsten Nachbarinsel entfernte Nauru war nicht nur optimal abgelegen, sondern auch – dank des jahrzehntelangen Tagebaus – überaus unattraktiv. Und Touristen und Journalisten durften hier gar nicht erst einreisen: Nauru erteilte ausschließlich Geschäftsvisa. Außerdem konnten sich hier keine Rebellen in den Bergen verschanzen, weil die Nauruer ihre Berge schon vor langer Zeit verkauft hatten.
    Anderson lächelte, während sie sich am Pool des Menon – eines der beiden Hotels der Insel – sonnte. Wenn sie ihren Liegestuhl sorgfältig ausrichtete, konnte sie sogar aufs Meer blicken, ohne verrostete Ladekräne zu sehen.
    Das Beste waren die Abende. Die Sonnenuntergänge hier waren riesige Pyrotechnik-Shows mit gewaltigen Wolken am fernen Horizont. Sie entschädigten einen schon fast für die rostige Trostlosigkeit der Landschaft und die Luft, die so feucht war, dass man sich in der Meeresbrise fühlte, als stünde man unter der Dusche. Doch seit sie für den Daemon arbeitete, hatte ihr Leben eine Dimension von echtem Abenteuer, und das hier gehörte dazu. Pfeif auf Machu Picchu oder Prince Patrick Island – das war ja so bourgeois. Sie war hier in einem Land, von dem wahrscheinlich keiner ihrer vielgereisten und gebildeten Freunde auch nur jemals gehört hatte. Einem Land, das man auf keiner gebräuchlichen Karte fand. Sie lachte leise in ihren Lemon-Drop-Martini. Vor zwei Tagen hatte sie die Isle of Man, das Nevada Großbritanniens, verlassen, und wo sie morgen hinfliegen würde – keine Ahnung. Das kümmerte sie nicht. Brauchte sie nicht zu kümmern. Zum ersten Mal imLeben fühlte sie sich auf eine seltsame Art sicher. Sie war eine ausgehaltene Frau. Als Consultant auf Honorarbasis für die Firma Daedalus Research – die zweifellos dem Daemon gehörte – verdiente sie mehr als je zuvor. Ihre sämtlichen Reisespesen gingen auf eine scheinbar unbegrenzte Firmenkreditkarte. Ihre Flugtickets waren allesamt erster Klasse, und für diese kleine Spritztour nach Nauru hatte sie einen Privatjet gechartert. Es war aufregend. Jeder Tag war voller Überraschungen. Was für ein Kontrast zu diesem Billigsender. Ihr neuer Boss war zwar ein untoter Automat, aber, na ja, kein Job war perfekt.
    Anderson lauschte dem Geplauder in einem Dutzend Sprachen, das sie umgab. Sie spürte Blicke auf sich und ihrem

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