Dämon
sechs Monaten in den Hafen von Boston, für eine neue Museumsausstellung. Die Galla ist hier in der Stadt.«
Diese Neuigkeit musste Jefferson erst einmal verdauen. Er schwieg, während er dem vom Fenster gedämpften Rauschen der Wellen lauschte. »Könnte es sich nicht um einen Zufall handeln?«
»Vielleicht. Trotzdem bin ich der Ansicht, die Sache ist eine nähere Untersuchung wert.«
»Ja.« Jefferson seufzte und rieb sich die Stirn. »Das wird mir langsam alles zu viel. Wo, sagten Sie, befindet sich das Schiff?«
»Derzeit ist es im Bostoner Meeresmuseum, wo man immer noch damit beschäftigt ist, die Ausstellungsstücke fertig zu machen. Das Museum öffnet erst im Herbst, aber ich habe bereits mit einem Wachmann gesprochen, und er hat gesagt, dass wir morgen jederzeit vorbeikommen könnten. Er ist den ganzen Tag da, weil er für jemand anderen eingesprungen ist.«
Jefferson lächelte. »Ich bin beeindruckt. Brogan und ich müssen auf der Hut sein. Allmählich nehmen Sie uns die Arbeit weg.«
McKenna grinste spitzbübisch, dann senkte sie den Blick und betrachtete ihre Hände. »Da wäre noch etwas, das Sie wissen sollten.«
»Und was?«
»Eine Unterwasserexpedition, die für so ein Bergemanöver erforderlich ist, kostet ein Heidengeld. Sponsoren, finanzieller Rückhalt.«
»Und wer war der Sponsor dieser Expedition?«
»Nun ja … die Bergung der Galla wurde vom Joseph Lyerman Institute bezahlt. Von Lyerman persönlich.«
Jefferson fehlten die Worte. Die Welt kann manchmal ziemlich klein sein, voller zufälliger Verbindungen zwischen Menschen und Ereignissen. Manche entstehen und zerbrechen ohne jegliche Bedeutung, anderen schien eine tiefere Fügung von Ereignissen zu Grunde zu liegen. Ein Schmetterling, der in Afrika auf einem Zweig landet, verursacht einen Lufthauch, der sich über dem Atlantik in einen Gewittersturm verwandelt, der bis Florida ein ausgewachsener Hurrikan geworden ist, der an der Ostküste entlang nach Norden zieht und in Gloucester ein Fischerboot versenkt. Vier Fischer, die am Morgen aufgewacht sind, ihr Frühstück eingenommen und ihre Frauen zum Abschied geküsst haben, sind am Nachmittag tot – und alles nur, weil zwei Wochen zuvor ein Schmetterling irgendwo in einer anderen Ecke der Welt auf einem Ast gelandet ist. Verbindungen, die das Chaos des Lebens an sich hervorruft.
Joseph Lyerman unterhält ein Institut, das eine Expedition zur Bergung eines Truppentransporters aus dem Zweiten Weltkrieg finanziert. Das Schiff wird nach Boston geschleppt, wo Lyermans eigener Sohn von jemandem ermordet wird, der vorgibt, von eben jenem Schiff zu kommen. Das, überlegte Jefferson, war kein Zufall. Keine Willkür. Dahinter steckte mehr, er konnte es spüren.
»Das alles überrascht Sie ein wenig, nicht wahr?«, fragte McKenna.
»Was? O ja. Aber es ergibt irgendwie keinen Sinn.«
»Weil Sie die Gründe dahinter noch nicht kennen. Sobald man die Gründe kennt, ergibt alles einen Sinn.«
McKenna nahm einen Schluck Eistee, dann senkte sie das Glas und blickte durch die offene Fliegentür nach draußen. Ihre Lippen glitzerten von der kühlen Flüssigkeit. Sie blickte Jefferson einen Augenblick an, bevor sie sich wieder umwandte und hinaus aufs Meer schaute. Weit draußen zuckten die Blitze eines Wärmegewitters und tauchten die Wolken in fahles Licht. Ohne ein Wort schaltete McKenna die Beleuchtung über dem Tresen ab und kehrte auf die Veranda zurück. Sie stellte sich ans Geländer und blickte zu den fernen Regenwolken. Jefferson folgte ihr schweigend und stellte sich neben ihr ans Geländer.
»Sieht nach einem Unwetter aus«, sagte McKenna leise.
»Ja.«
»Als ich noch klein war, hat Regen mich immer fasziniert. Der Vorgang als solcher, meine ich. Die Entwicklung war irgendwie dramatisch. Wasserstoffatome und Sauerstoffatome, die gemeinsam aus dem Himmel fielen. Immer die gleiche Anzahl. Seit Anbeginn der Zeit. Sie fanden sich für den einen Tropfen Regen und verloren sich dann wieder. Als ich klein war, habe ich immer darüber nachgedacht, wie das sein muss. Immer zusammenfinden und sich wieder trennen. Ich habe mich gefragt, ob diese drei bestimmten Atome sich jemals wiederfinden in der riesigen Welt. Würden diese Atome jemals wieder zusammenkommen und sich im gleichen Regentropfen finden? Vielleicht spielt sich bei jedem Gewitter über uns ein Drama ab, von dem wir nichts mitbekommen. Verlorene und wiedergefundene Liebe, nur für einen einzigen Augenblick, nur für die Dauer, die
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