Dämon
voller Verlangen und Sehnsucht, seltener geworden, doch sie kamen noch immer, mit der Wucht unerwarteter Gewitterstürme.
Seine Frau blickte ihn aus reglosen Kodak-Augen und mit ewigem Lächeln an. Die Spieldose lief allmählich aus, und die letzten Akkorde verlangsamten sich zu einem misstönenden Klimpern, als das Federwerk der Mechanik seine letzte Energie verbrauchte.
»Ich vermisse dich so sehr«, sagte Brogan und blickte auf das Bild seiner Frau.
Er beugte sich vor, die Hände auf der Kommode, und ließ den Kopf hängen. »Bitte«, betete er. »Bitte vergib mir.«
Er hatte wieder einmal von seiner Frau geträumt. Sie fuhren zusammen irgendwohin, und vor ihnen erstreckte sich das breite Band der Straße. Brogan saß auf dem Beifahrersitz, sie hinter dem Steuer, die Augen auf den Verkehr gerichtet. Sie trug ein rotes Kleid, und Schmuck funkelte an ihrem Hals im Licht entgegenkommender Wagen. Brogan streckte die Hand nach ihr aus und streichelte ihr über den Kopf. Sie lehnte sich zu ihm herüber und seufzte, als seine Handfläche ihre Wange berührte. Sie küsste seine Fingerspitzen. Er strich mit seiner Hand nach unten, fuhr mit dem Daumen über ihren Hals und spürte einen plötzlichen stechenden Schmerz. Er riss die Hand weg und sah einen kleinen Blutstropfen aus seinem Daumen quellen. Irgendetwas an ihrem Hals hatte ihn geschnitten.
Er beugte sich vor und schaute sie genauer an. Die Glattheit ihrer Haut war durchbrochen von etwas Scharfem unmittelbar hinter ihrem rechten Ohr. Verwirrt starrte Brogan das Objekt an, ein glitzerndes Stück Glas. Eine weitere Scherbe kam direkt unter ihrem Auge hervor, zwei Splitter aus den Ohren, und was Brogan zuerst für Ohrringe gehalten hatte, waren weitere Glassplitter. Nun sah er auch, dass ihr Kleid rot gestreift war – und die Streifen waren keine Farbe, sondern Blut. Er zuckte erschrocken zurück, schob sich von ihr weg, drückte sich gegen die Beifahrertür.
In diesem Augenblick wurde ihr Gesicht von den Scheinwerfern eines weiteren entgegenkommenden Fahrzeugs erhellt. Sie wandte sich ihm zu. Blut strömte aus ihren Wangen, aus ihren Haaren, quoll aus Tausenden winziger Schnitte, wo die Glassplitter der gesprungenen Windschutzscheibe aus ihrer Haut traten. Sie sah ihn an und öffnete den Mund zum Sprechen, doch kein Laut kam hervor.
Das weiße Licht der entgegenkommenden Scheinwerfer auf ihrem Gesicht wurde heller, überflutete den Sitz und den gesamten Innenraum des Wagens. Sie saß immer noch ihm zugewandt, ohne den sich nähernden anderen Wagen zu beachten, während das Blut in Strömen über ihr Gesicht floss und die kleinen Glassplitter im Licht glitzerten. Ihre Augen waren starr auf ihn fixiert, und er konnte genau sehen, wie traurig sie waren. Sie ließ das Lenkrad los und streckte die Hände nach ihm aus, die Finger gespreizt, und auch ihre Hände waren voll winziger Schnitte. Ihre Bewegungen waren träge, schläfrig, als würde sie im warmen Bett nach ihm tasten. Ihre Lippen bewegten sich erneut, und diesmal erreichte ihre Stimme sein Ohr, auch wenn es kaum mehr war als ein fast unhörbares Flüstern.
»Warte auf mich«, sagte sie, und ihre Stimme klang hohl und leer.
Ihre Augen blickten immer noch traurig, und sie schloss die Lider wie eine Blüte am Abend, während ihre Hände nach seinem Gesicht tasteten. Die entgegenkommenden Scheinwerfer waren inzwischen fast heran, und im Hinterkopf hörte Brogan eine Sirene heulen, das laute Hupen eines anderen Wagens, doch es klang irgendwie dumpf, wie aus weiter Ferne. Während sich ihre Finger seinem Gesicht näherten wie in Zeitlupe und ihre glatte Haut ihn fast berührte, begann der Wagen unvermittelt wild zu vibrieren, und das Kreischen der Bremse hallte in Brogans Ohren wider.
Sie beachtete den Lärm und das Licht immer noch nicht. Sie hatte den Kopf zur Seite gewandt, weg von der Straße und dem heranrasenden Verderben. Ihre Lippen bewegten sich erneut, und sie sprach ein letztes Mal. »Ich liebe dich.«
Die Lichter wurden stärker und strahlten blendend hell, als der entgegenkommende Wagen auf der falschen Seite die Ausfahrt herunterraste. Sie seufzte einmal, und ihre Hände zogen sich langsam zurück. Brogan schüttelte den Kopf. »Geh nicht weg.« Einen Augenblick später gab es eine furchtbare Explosion, als die beiden Fahrzeuge zusammenstießen. Die Windschutzscheibe flog nach innen, und die Motorhaube wurde zusammengedrückt wie eine Ziehharmonika. Glassplitter überhäuften Brogan und seine
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