Dämon
In die Wand sind Sensoren eingelassen, die so empfindlich sind, dass sie den Anstieg der Körpertemperatur der Menschen in diesem Raum wahrnehmen. Und ein solcher Anstieg bedeutet in der Regel Zorn oder Erregung und damit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen Wutanfall bekommt und die Gemälde in Gefahr bringt.«
Lyerman blickte weiter auf die Wand, bis die Plexiglasbarrieren mit einem Klicken fest im Boden verriegelt waren. »Ich schätze, einer von uns muss ziemlich wütend sein«, sagte Lyerman mit mattem Lächeln.
Jefferson blickte auf die Armbanduhr. »Ich möchte Ihre Zeit nicht unnötig beanspruchen, Sir.«
Er warf einen Seitenblick zu Brogan. Der zuckte die Schultern.
»Deshalb werden wir uns jetzt auf den Weg machen«, sagte Jefferson.
Lyerman nickte. »Danke für Ihren Besuch.«
Jefferson und Brogan wandten sich zum Gehen. Als sie an der Tür waren, vernahmen sie hinter sich Lyermans Stimme. »Meine Herren?«
»Ja?«, fragte Jefferson.
»Das Foto von meinem Sohn, das Sie gefunden haben …«
»Ja?«
»Ich brauche es nicht. Wenn man in so einem Stuhl sitzt«, sagte Lyerman, »lernt man, die Dinge im Kopf zu bewahren. Ich habe alle Bilder bei mir, die ich brauche.«
Jefferson nickte. Brogan stieß die Tür auf, und sie verließen das Büro und wandten sich in Richtung Korridor. Jefferson hörte das leise Zischen aus Lyermans Büro, als die Plexiglassperren vor den Gemälden an der Wand wieder nach oben glitten.
»Was hatte das zu bedeuten?«, fragte Jefferson, als sie draußen waren. »Was hat Lyerman zu dir gesagt?«
Brogan schüttelte den Kopf. »Das willst du gar nicht wissen.«
Mehr würde Brogan ihm nicht anvertrauen, das war Jefferson klar. So nickte er nur, als sie durch die lange Allee der Redwood-Bäume gingen. Sie schoben sich durch die Doppelglastüren und betraten die Lobby auf der anderen Seite. Der samoanische Wachmann erwartete sie bereits und trat ihnen in den Weg.
»Mr Lyerman hat angerufen und gesagt, Sie hätten eine Bitte bezüglich eines unserer Angestellten. Ich habe die Adresse des Kollegen aufgeschrieben. Er ist immer noch Angestellter von Mr Lyerman, also hat er gewisse Pflichten, doch es wird wohl keine Probleme geben, wenn Sie mit ihm reden wollen.«
Der Wachmann reichte Jefferson ein Blatt Papier. Der nahm es entgegen. Ohne es einzustecken, nickte er dem Samoaner zu; dann wandten die beiden Beamten sich ab und traten aus der Lobby in den Aufzug.
Erst dort warf Jefferson einen Blick auf das Papier mit der Anschrift von Lyermans privatem Bodyguard:
Harold Thompson, 200 Harbor Street, Apartment 3 .
Es war der Name des Mannes, der den ersten Anruf bei der Neun-eins-eins getätigt hatte.
Als sie das Gebäude verließen, hatte der Regen aufgehört. Der schwarze Nachthimmel hatte sich unter den Lichtern der Streifenwagen in ein stumpfes Grau verwandelt. Ein Ambulanzfahrzeug parkte direkt vor den Doppelglastüren des Lyerman Building. Die Hecktür stand offen, und zwei Männer in weißen Sanitäteruniformen schoben eine Trage mit einem Tuch darüber in den Wagen. Brogan und Jefferson blieben einen Augenblick stehen und beobachteten. Als die beiden Sanitäter die Trage anhoben, fiel eine bleiche Frauenhand unter dem Tuch herab. Jefferson erhaschte einen kurzen Blick auf rot lackierte Nägel.
Über ihnen schwebte ein Helikopter von Fox TV, hell erleuchtet von den umgebenden Gebäuden.
»Armes Mädchen.« Brogan seufzte. »Was mag sie sich dabei gedacht haben, sich mit einem Kerl wie Lyerman einzulassen?«
»Es ging ihr ums Geld«, meinte Jefferson.
»Wahrscheinlich hast du Recht. Aber wie es aussieht, hat es sich für die Kleine nicht ausgezahlt.«
»So was zahlt sich selten aus.« Jefferson öffnete die Wagentür.
Harold Thompson wohnte im Market District. Selbst jetzt, spät am Abend, waren die Bürgersteige noch voller Leben. Menschen drängten sich in einem endlosen Strom um den Wagen, in dem Brogan und Jefferson saßen. Auf dem Rücksitz lag die Marionette, die sie auf dem Dach des Lyerman Building gefunden hatten. Sie steckte in einer verschlossenen Beweismitteltüte. Ihre Porzellanaugen starrten nach oben, und auf ihrem regungslosen Gesicht lag ein mürrischer Ausdruck.
Brogan starrte schweigend aus dem Fenster.
»Woher wusste Lyerman von dem Foto, das wir bei seinem Sohn gefunden haben?«, fragte er.
»Was?«
»Dieses Foto, das den jungen Lyerman beim Skifahren zeigt und das wir in seiner Kleidung gefunden haben.«
»Was ist
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