Dämon
einzigen Geräusche stammten von den Fahrzeugen auf dem Highway über ihnen. Jefferson saß auf dem Bordstein, während Brogan alleine losmarschierte, um ihren Wagen zu holen.
Um acht Uhr abends beginnt Dombeys Nachtschicht im Lyerman Building. Um zehn kommen Kenneth, seine Freundin und Thompson aus dem Club zurück. Gegen Viertel nach zehn ruft Thompson die Neun-eins-eins an. Vier Minuten später lässt Lyerman Senior den Alarm beenden. Warum?
Und wenn es überall im Gebäude Überwachungskameras gab, wie kam es, dass jemand unerkannt aufs Dach gelangen und einen Doppelmord begehen konnte?
Brogan lenkte den Dienstwagen an den Straßenrand und streckte den Kopf aus dem Fenster. »Bist du so weit?«
Jefferson stieg auf den Beifahrersitz.
»Möchtest du, dass wir diesen Richard Lee noch heute Nacht überprüfen? Uns anhören, was er über Kenneths Spielschulden zu sagen hat?«
Jefferson blickte auf die Uhr. Es war halb drei morgens.
»Also schön. Weißt du, wo wir ihn finden?«
»Sicher weiß ich, wo er sich rumtreibt«, sagte Brogan und trat aufs Gaspedal.
Kurz nach Mitternacht saß Ron Saint in seinem Apartment und aß die Reste einer kalten Pizza, die er aus dem Kühlschrank geholt hatte. Der Teig war feucht und klebrig, doch er kaute weiter, getrieben vom Hunger. Durch das offene Fenster trug eine sanfte Brise die Geräusche eines Autoradios herein, das irgendwo draußen auf der Straße plärrte. Als Saint sich das letzte Stück Pizzakruste in den Mund schob, hörte er, wie im benachbarten Apartment ein Bett gegen die Wand stieß. Saint kannte die Beischlafgewohnheiten seiner sämtlichen Nachbarn. Es ließ sich nicht vermeiden – wann immer es in seinem Zimmer still war, konnte er sie hören.
Der Fernseher lief und zeigte eine Wiederholung von Jeopardy. Er hielt den Blick auf den Bildschirm gerichtet, während er einen Schluck Soda trank. Das Stöhnen in der Nachbarwohnung wurde lauter. Saint hatte Schwierigkeiten, die Antworten der Kandidaten in der Fernsehshow zu verstehen.
Er hatte gemerkt, dass er bei Jeopardy seit seiner Entlassung aus dem Blade-Gefängnis viel besser geworden war. Er wusste weit mehr Antworten, denn er hatte im Knast viel gelesen und wusste nun viel über die Seen und Flüsse, Städte und Länder dieser Welt. Außerdem hatte er im Gefängnis fünfzehn Kilo an Muskelmasse zugelegt, hatte zu kämpfen gelernt und sich bis zum Gefängnis-Champion im Halbschwergewicht hochgeboxt. Es gab nicht besonders viel zu tun, wenn man seine Zeit absaß, außer Lesen, Gewichtheben und Boxen.
»He, treibt es nicht so laut!« Er hämmerte gegen die Wand.
Das Telefon läutete.
»Saint, alter Kumpel, wie geht’s?«
Saint zögerte, bevor er antwortete. »Alles paletti, Five. Was gibt’s?«
»Mann, wir haben einen Job zu erledigen. Ein Anwaltsbüro in Beacon Hill.«
»Einen Job? Wann?«
»Noch heute Nacht. In einer Stunde.«
Nebenan steigerte sich das Stöhnen. Saint hörte die Bettfedern knarren.
»Na und? Was hat das mit mir zu tun?«, fragte er.
»Wir wollen dich dabeihaben. Wir brauchen ein Muskelpaket wie dich.«
»Was ist das für ein Job?«
»Nichts Großes, keine Bange. Keinem passiert was. Wahrscheinlich springen bei der Sache für jeden fünf Riesen raus. Es geht um ein Dokument, das jemand haben will. Ein Manuskript. Wir müssen es nur rausholen, das ist alles.«
»Du weißt, dass ich mit solcher Scheiße nichts mehr zu tun habe. Ich hab jetzt einen Job«, antwortete Saint und spielte mit einem Stück Pizzakruste.
»Und was arbeitest du?«
»Wartung.«
»Ja, sicher, Mann. Ich hab mit Thompson geredet. Er sagte, du würdest auf der Wakefield-Hauptschule die Klos putzen. Was zahlen sie dir dafür? Sieben Mäuse die Stunde?«
»Sieben fünfundzwanzig.« Saint beugte sich vor und wechselte den Fernsehkanal. Ein Baseballspiel der Sox wurde gezeigt.
»Toll. Und warum bist du heute Abend zu Hause? Wir haben Freitag, Mann.«
»Ich bin krank.«
»Klar bist du krank. Du bist zu Hause, weil dein Boss dich sechs Tage die Woche um sechs Uhr morgens zur Arbeit antanzen lässt. Und wenn du nicht erscheinst, ruft er bei deinem Bewährungshelfer an und erzählt, du würdest gegen die Auflagen verstoßen oder sonst ein Scheiß. Außerdem, selbst wenn du morgen nicht arbeiten müsstest – glaubst du im Ernst, du würdest mit ’ner Tussi ausgehen? Scheiße, welche Mieze gibt sich schon mit einem muskelbepackten Exknacki ab, der sieben Mäuse fünfundzwanzig die Stunde fürs Kloputzen
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