Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
freiwillig seine letzte Chance los?
Die einbrechende Decke droht auf mich zu stürzen. Ich falle auf den Rücken, spüre Schmerz. Meine Augen fangen zu tränen an, als ein Lichtstrahl naht. Doch bevor er die Decke auslöscht, bannt er die Schwärze und offenbart mir einen Spiegel. Aber der Spiegel zeigtnicht mein vor Angst verzerrtes Gesicht, sondern eine Stadt am Meer.
Ich erkenne sie.
»Danke«, sage ich noch rasch, dann flüchte ich vor dem Erwachen.
Kapitel 4
Ein Frühstück im Grünen
Am nächsten Morgen wurde Ella von Vogelgezwitscher geweckt, und der Duft von
taufeuchtem Grün stieg in ihre Nase. Sie streckte sich ausgiebig im Schlafsack, verschränkte die Arme hinterm Kopf und blinzelte in den Himmel, der bereits strahlend blau war. Es würde ein wunderschöner Sommertag werden.
Normalerweise fiel es Ella schwer, im Hellen zu schlafen. Doch der gestrige Tag war
anstrengend gewesen – und die halbe Nacht ebenfalls. Nicht der Jetlag hatte sie wach gehalten, sondern vielmehr das Trappeln unzähliger kleiner Pfoten. Die Villa war nämlich keineswegs unbewohnt. Nein, ganz und gar nicht. Eine Legion nicht näher identifizierter Nagetiere hatte Einzug gehalten. Zuerst hatte Ella versucht, die stetig zunehmende
Geräuschkulisse zu ignorieren, doch dann war eine dieser Kreaturen über ihren Schlafsack getapst.In Rekordtempo hatte Ella daraufhin ihre Sachen zusammengerafft und war auf die Terrasse geflüchtet. Auch im Freien hatte es geknistert, geraschelt und gefiept, über ihr waren
sogar einige Schatten umhergeflogen, die von den Umrissenher verdächtig an
Fledermäuse erinnerten. Aber sie hatte sichmit dem Gedanken beruhigt, dass solche Dinge schließlich zu Mutter Natur gehörten, und war endlich eingeschlafen.
Der Schlaf war einer Sensation nahegekommen: Ella hatte geträumt!
Da war sie sich absolut sicher.
Zwar war ihr keine zusammenhängende Geschichte in Erinnerung geblieben, nicht einmal ein anständiges Bild, sondern nur vereinzelte Eindrücke wie der Geruch nach Myrte und ein Glitzern
hinter
ihren
geschlossenen
Augenlidern,
als
hätte
sie
zu
lang
aufs
sonnenbeschienene Meer geblickt. Das war nicht viel, aber für Ella bedeutete es eineMenge, denn es war lange her, seit sie zuletzt geträumthatte.
Nach ihrer Ankunft in Sandfern war tief in ihrem Inneren wieder etwas zum Leben erweckt worden, etwas, das sie schrecklich vermisst hatte. Genau darauf hatte sie gehofft. Seit sie mit ihren Eltern nach Australien gezogen war, hatte sie nämlich wie eine Tote geschlafen.
Wortwörtlich. Zu schlafen bedeutete, in ein tiefes Loch zu fallen, das sie von allem abschnitt.
Kein Gedanke und keine Empfindung drangen bis dorthin. Anfangs dachte Ella, es läge an der Umstellung, dass ihre Träume sie verlassen hatten. Die Anstrengung, die einem der Aufbau eines neuen Lebens abverlangte, und schon bald gesellte sich die hormonelle
Umstellung mit Beginn der Pubertät dazu. Erst später kam sie darauf, dass da etwas nicht stimmte. Und selbst dann behielt sie die Beobachtung, dass ein wichtiger Teil von ihr nicht mit in dieses neue Leben eingetreten war, für sich. Ihre Eltern plagte ohnehin das schlechte Gewissen, dass sie ihrer Tochter zumuteten, auf einem anderen Kontinent zu leben, weil ihre Mutter unbedingt die Familientradition des Weinanbaus fortsetzen wollte. Vermutlich hätten sie darauf getippt, dass die ausbleibenden Träume der Preis für die Verdrängung waren, weil das
Weingut
VinesGrey
zwar
wunderschön
war,
sie
aber
trotzdem
einer
Eingewöhnungsphase bedurfte. Ellas Theorie für ihre verloren gegangene Traumwelt sah anders aus, und jahrelang trug sie diese Vermutung mit sich herum, die in der letzten Nacht endlich bestätigt worden war: Sie gehörte nach Sandfern, denn hier lag ihre Chance auf Vollständigkeit.
Tatsächlich war Ella unter freiem Himmel derartig in dem Traum versunken gewesen, dass sie viel zu spät aufgewacht war. Sie konnte gerade noch kalt duschen, bevor Sören einen Heidenlärm veranstaltete, weil er sich damit
abrackerte, das verkantete Haupttor in
Bewegung zu setzen. Was ihm schließlich mit roher Gewalt auch gelang, nur brach das Tor dabei aus den Angeln. Hastig rannte Ella über den Vorhof, während sie ein frisches
Trägertop überzog. Ansonsten trug sie nur ihre Schlafshorts, aber das musste in diesem Augenblick reichen.
»Sören, was soll das denn? Du kannst doch nicht einfach das Tor rausreißen!«
Laut keuchend und schimpfend, mühte sich
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