Dämonen-Reihe Bd. 4 Traumsplitter
dem Labor stammte. Gabriel roch nach einer Frau, die seine Nähe allem Anschein nach überaus genossen hatte.
Willkommen in der Realität, sagte sich Ella.
-
Endlich brach die Abenddämmerung an und brachte zumindest einen Hauch von Abkühlung.
Ella atmete durch.
Da wartete man monatelang auf die schönste Spanne des Jahres, und wenn es dann
endlich so weit war, war man plötzlich froh, wenn die Schatten am Abend länger wurden. Die Sehnsucht nach luftiger Kleidung und dem Duft von Sonnencreme auf der warmen Haut wich dem Wunsch, einige Meter gehen zu können, ohne gleich ins Schwitzen zu geraten. Zwar träumte Ella noch nicht von Spaziergängen im Schnee, aber sie stand kurz davor. Die Fülle des
Tages hatte sie erschöpft, und Gregor mit seinen ruhig ausgesprochenen, aber
nichtsdestotrotz beharrlichen Arbeitsanweisungen hatte das Letzte aus ihnen allen
herausgeholt. Als er sich an der Seite von Nora verabschiedet hatte, war Ella doppelt froh gewesen: Ihre Freundin strahlte, obwohl sie mit Gregor nichts anderes als ein paar
vorsichtige Lächeln ausgetauscht hatte. Außerdem bestand nun endlich die Chance, die Beine hochzulegen und zur Ruhe zu kommen.
Ruhe konnte Ella gut gebrauchen, denn da war einiges, über das sie dringend nachdenken musste: über die Macht von Träumen und noch mehr über Küsse, die man in ihnen tauschte
… über den fremden Geruch, den Gabriel an seinem Körper getragen hatte, und warum ihr das nicht gleichgültig war … aber auch darüber, warum er sich zurückzog. Daran, dass sie hinter sein Geheimnis gekommen war, konnte es doch allein nicht liegen? Im Garten hatte er seine Worte stark abgewägt und nicht mehr verraten, als sie ihm abverlangt hatte, aber jetzt mied er sie regelrecht. Als hätte es die vielen Neckereien und die Leichtigkeit, aber auch den Kuss im Traum nie gegeben. Erneut fragte sie sich, wie viel er überhaupt von ihren
Zärtlichkeiten mitbekommen hatte. Vielleicht war es für ihn nur ein Intermezzo auf dem Weg zu seinem eigentlichen Anliegen gewesen … Aber dafür war seine Erwiderung des Kusses zu leidenschaftlich gewesen, das konnte sie sich unmöglich eingebildet haben. Die
Anziehungskraft zwischen ihnen, die Art, wie Gabriel sich über sie gebeugt hatte, um noch etwas ganz anderes zu tun, als sie bloß zu küssen … das war echt gewesen, Traum hin oder her. Obwohl es nicht die beste Idee war, sah Ella zu ihm hinüber und musste feststellen, dass allein sein Anblick ausreichte, um ihr einen Stich zu versetzen.
Gabriel saß auf einem Klappstuhl neben ihr am Teich, die langen Beine ausgestreckt, die Hände hinterm Nacken verschränkt, und starrte ins Leere. Sie traute sich nicht, ihn zu fragen, welche Wolke sich vor sein Strahlen geschoben hatte. Sie fürchtete sich vor der Antwort und hatte außerdem keine Ahnung, wie sie ihn danach fragen sollte, ohne dass sich der Riss vertiefte. Das Spielerische zwischen ihnen gehörte der Vergangenheit an, und sie wusste nicht, auf welchem Parkett sie sich jetzt miteinander bewegten.
Nachdenklich ließ Ella einige Johannisbeeren, die Kimi in einem der Beete entdeckt hatte, zwischen ihren Zähnen zerplatzen. Ihre Geschmacksnerven konnten sich nicht entscheiden, ob der Saft süß oder mehr säuerlich war. Jetzt gegenEnde Juli waren die Früchte jedenfalls reif, der Geschmack des Sommers. Als Ella sich mit dem Zeigefinger über die Lippen fuhr, um nach Spuren des roten Saftes zu tasten, ertappte sie sich dabei, wie ihre Gedanken bei dieser Berührung erneut in Richtung Gabriel abdrifteten. Diese Lippen hatten seine berührt
… Voller Beunruhigung verdrängte sie das Bild. Das grenzte ja langsam an Besessenheit!
Begann sie sich etwa ernsthaft für einen Mann zu interessieren, der nicht bloß die Fähigkeit besaß, in Träume einzudringen, sondern darüber hinaus auch noch eine zweifelsohne heiße und aufreibende Zeit mit einer anderen Frau verbrachte?
Du hast Gabriel nicht gefragt, ob er in einer Beziehung ist, und jetzt ist es wohl zu spät dafür, gestand sie sich ein.
Eigentlich hatte sie ihn so gut wie gar nichts gefragt, einfach aus dem Grund, weil ihr diese Art von Neugierde fehlte. Bei ihrem ersten Treffen hatte Gabriel gesagt, er sei eben erst in Sandfern angekommen, und hatte nur vage darüber gesprochen, wie seine Pläne in dieser Stadt aussahen. Den Sommer vertrödeln, hatte er gesagt. Nicht mehr. Wahrscheinlich hätte sie nachfragen sollen, aber es hatte sich alles passend angefühlt, sodass sie die
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