Dämonendämmerung - Die Auserwählte (German Edition)
gegenüberliegenden Berghang hinauf. Regenschwere, bleigraue Wolken klammerten sich schon den ganzen Vormittag eisern an den Gipfeln fest. Noch regnete es, aber zumindest in den höheren Lagen würde es heute Abend das erste Mal in diesem Spätherbst schneien.
Seit einer Woche arbeitete sie nun als persönliche Assistentin für Thomas Heyder. Eine relativ kurze Zeit, doch so Manches war anders geworden. Lille hatte es richtig erkannt, vor allem sie hatte sich verändert. Nicht nur äußerlich, sondern auch ihr Selbstbewusstsein hatte sich zum Positiven gewandelt. Seit langem fühlte sie wieder Ehrgeiz und Freude an dem, was sie beruflich tat, denn auf seine ganz eigene Weise vermittelte Heyder ihr das Gefühl, wertvoll zu sein. Er übertrug ihr von Anfang an Verantwortung und selbst wenn sie mit manchen Aufgaben nicht auf Anhieb zurechtkam, zeigte er sich, für einen Mann in seiner Position, ausgesprochen verständnisvoll. Obwohl sie weiterhin eine geteilte Einstellung zu Thomas Heyders Person hatte, musste sie sich insgeheim eingestehen, dass es ihr mit Heyder als Chef wesentlich besser erging, denn er entlohnte sie wenigstens anständig für ihre Arbeit. Doro betrachtete ihr Spiegelbild, das sich vor der dunklen Regenkulisse in der Fensterscheibe abhob. Ihre sackartigen Klamotten waren einem klassischen Bürodress gewichen. Heute trug sie einen gedeckten, rehbraunen Hosenanzug, eine zeitlose weiße Bluse und hohe Pumps. Die eleganten Sachen, die sie nun anzog, waren ihr anfänglich wie eine Verkleidung vorgekommen, aber langsam fing sie an, sich daran zu gewöhnen. Und es fühlte sich gut an. Vielleicht wurde aus ihr, wenn sie sich selbst die Chance und die Zeit gab, tatsächlich eine andere Doro.
Alexander schlich sich in ihre Gedanken. Nach der gemeinsamen Nacht hatten sie nur vier- oder fünfmal miteinander telefoniert, weil sein Aufenthalt in London länger dauerte als erwartet. Aber heute Abend würde er endlich zurückkommen… Das Läuten des Telefons riss sie aus ihren Wiedersehensfreuden. Die Melodie des Klingeltons zeigte an, dass es ein internes Gespräch war. Doro hob den Hörer ab. „Dorothea Bergmann“, meldete sie sich.
„Guten Morgen, Dorothea“, sagte Heyders Stimme am anderen Ende der Leitung, „Könnten Sie einen Moment zu mir herüber kommen? Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.“
„Gern“, erwiderte Doro.
Heyders Büro lag ihrem gegenüber. Sie hatte es sich aussuchen können, ob sie eines der beiden Zimmer nahm, die an Heyders angrenzten oder das auf der anderen Seite. Intuitiv hatte sie sich für den größtmöglichen Abstand zwischen ihr und Heyder entschieden. Der Flur bildete für sie eine Art natürlicher Grenze und die zwei Meter Gangbreite zwischen den Türen gaben ihr die aberwitzige Sicherheit, dass Heyder durch die räumliche Trennung nicht über jeden ihrer Schritte Bescheid wusste.
Die schwere Holztür war geschlossen. Sie wartete einen kurzen Moment, um sicher zu gehen, dass Heyder nicht gerade telefonierte. Dann klopfte sie an.
„Kommen Sie rein“, rief er.
Doro trat ein. Thomas Heyder saß hinter einem massiven, gut 2,50 Meter breiten, nahezu schwarzen Ebenholzschreibtisch. Die in der Decke eingelassenen Halogenstrahler spiegelten sich in der blank polierten dunklen Tischplatte und reflektierten das Licht in Form gleißend heller Flecken. Heyder sah von seinen Unterlagen auf. Mit einer Handbewegung wies er ihr den linken der beiden Ledersessel vor seinem Schreibtisch zu und deutete ihr in einer weiteren Geste an, sich zu setzen. Doro bedankte sich mit einem schüchternen Lächeln. Er legte das Schriftstück, das er in der Hand hielt, zur Seite, faltete die Finger auf der Tischplatte ineinander und erwiderte ihr Lächeln. Aber im Gegensatz zu ihrem, war seines überzeugend und souverän. Danach betrachtete er sie für einige Sekunden, bevor er zu sprechen begann. Die stetsgleich ablaufende Begrüßung war zu einer Art morgendlichem Ritual zwischen ihnen geworden.
„Wie geht es Ihnen heute?“, fragte er.
„Danke, gut, Herr Heyder“, gab sie höflich zurück, wobei sie auch nach einer Woche noch nicht wagte, ihm dieselbe Frage zu stellen. Genauso wenig, wie sie seiner Bitte nachkam, ihn ebenfalls beim Vornamen zu nennen.
„Das freut mich.“ Er nickte selbstzufrieden. Ihm war anzusehen, dass er eine andere Antwort kaum akzeptiert hätte. Meistens folgte noch eine galante Bemerkung über ihr Aussehen, ehe er zum Tagesgeschehen überging. So auch
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