DÄMONENHASS
keinesfalls ›schlaffe Beutel‹, wie Lardis Lidesci einmal die Brüste der Trog-Frauen genannt hatte. Ihre Ohren waren groß, ihr Mund und ihr Kinn dagegen klein, die Nase breit und flach mit geblähten Nüstern. Sie roch leicht nach Moschus, aber von ihr ging auch ein angenehmer Zitronenduft aus.
»Ist etwas?«, fragte sie und legte dabei den Kopf leicht auf die Seite. Überrascht bemerkte Nathan, dass die Quelle des süßen Zitronenduftes ihr Atem war. Irgendwie hatte er nicht erwartet, dass sie so sauber und erfrischend riechen würde. Aber ... wenn sie jetzt seine Gedanken las, konnte sie das leicht als Beleidigung auffassen.
Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Nichts, was ich denke, kommt so heraus, wie ich es meine«, sagte er. »Jedes Mal, wenn ich meinen Gedanken freien Lauf lasse, bringen sie Schmähungen hervor, für die ich mich dann entschuldigen müsste. Es tut mir leid.«
»Aber deine Gedanken gehören allein dir«, sagte sie. Sie wirkte verblüfft. »Ich würde sie nicht ohne Notwendigkeit lesen. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Du verfügst doch ebenfalls über dieses Talent. Würdest du denn ungebeten in meinen Geist treten?«
»Rogei hat etwas Ähnliches gesagt«, gab Nathan zur Antwort, »dass ich diese Gabe hätte. Er sagte, dass sie noch wachsen würde. Aber im Augenblick ist mir dein Geist verschlossen. Als ich noch klein war, habe ich manchmal die Gedanken meines Bruders gelesen, und ... ich kann mich mit bestimmten wilden Wölfen unterhalten. Aber ich bin kein Telepath.« Damit schüttelte er den Kopf.
»Du wirst einer werden«, sagte sie. Dann fragte sie neugierig: »Aber dieser ... Rogei? Wer ist das? Und woher weißt du überhaupt, dass die Thyre Telepathen sind? Dieses Geheimnis haben wir wohl gehütet. Jedenfalls dachten wir das.«
Nathan mahnte sich zur Vorsicht. Vielleicht – nur vielleicht – war alles lediglich dem Delirium entsprungen. Doch wenn es sich so verhielt, hatte sein fiebernder Verstand alles mit bemerkenswerter Genauigkeit entworfen. Und daher musste er die Geschehnisse wohl als tatsächlich hinnehmen: Er hatte wirklich mit einer toten Kreatur (nein, einem toten ›Menschen‹) gesprochen und auf diese Weise erfahren, was er über die Thyre wusste. Er war ein ... Necroscope? Da dies der Fall war, hatte Rogei ihm einen lohnenden Grund zum Weiterleben geliefert. Der alte Thyre hatte ihm nicht nur das Leben gerettet, sondern diesem auch einen Sinn gegeben – doch wenn Nathan dieses Wissen nicht weitergab, war auch dieser Sinn hinfällig.
»Rogei hat mir von euren telepathischen Fähigkeiten erzählt«, antwortete er schließlich. Er sah, dass sie ihm aufmerksam zuhörte und womöglich noch aufrechter dasaß als zuvor. »Er hat es mir vorgeführt. Allerdings hat seine Gabe sich verändert. Rogei hat eine ... Verwandlung durchlaufen, und damit haben sich auch seine telepathischen Fähigkeiten verändert. Das wiederum hat es mir möglich gemacht, meine Begabung anzuwenden. Denn während die Thyre sich mittels ihrer Gedanken mit den Lebenden unterhalten, ist meine ...«
»Ja?«
»... Wie heißt du?«, unterbrach er sich.
»Mein Name ist ein Geheimnis!«
»Natürlich«, seufzte Nathan und zuckte die Achseln. »Auch die Dinge, die du mich gefragt hast, sind Geheimnisse. Aber du hast an meinem Krankenbett gewacht, daher dachte ich, dass wir Freunde sind.«
Sie verstand, was er damit meinte: Treue und Vertrauen können nur in beiden Richtungen funktionieren. »Ich heiße Atwei – At-wei. Also, wer ist Rogei?«
Nathan holte tief Luft. »Rogeis Körper liegt in der Höhle der Uralten, Atwei«, sagte er. »Er war ein Thyre. Jetzt ist er ein Uralter! Und ich ... bin ein Necroscope und rede mit toten Menschen. Meine Begabung ermöglicht es mir, mit den Toten der Thyre zu sprechen.«
Wenn Atwei überrascht war, ließ sie es sich kaum anmerken. Sie nickte und erwiderte ruhig: »Es gibt Wüstenmenschen, die diese Kunst ausüben. Sie leben weit entfernt, sind keine Thyre, und tun noch einiges andere, was sich nicht ziemt. Als sie sich vor langer Zeit in das Land der Thyre ausbreiten wollten, kam es zum Krieg. Ihre Kämpfer drangen in unsere Kolonien unter der Erde ein. Die Thyre lockten sie in Fallen, öffneten die Schleusen und ertränkten sie. Seitdem haben sie keine Heere mehr gegen uns ausgesandt, und wir töten keine Menschen mehr, denn die geistigen Schreie der Sterbenden sind entsetzlich! Sie geben sich stattdessen mit ihren Gebieten hinter der Großen Roten
Weitere Kostenlose Bücher