DÄMONENHASS
über den Himmel rasten und ohne innezuhalten in Richtung der Sternseite und des Gartens des Herrn verschwanden. Lange Augenblicke verstrichen, in denen ihnen nur die kalten Sterne an einem Himmel Gesellschaft leisteten, der über der Sonnseite noch der Farbe eines Amethysten glich, während er sich zwischen den Berggipfeln schon zu Indigo verfinsterte. Lardis rührte sich nicht, aber Peder Szekarly, der jüngste seiner Männer, machte Anstalten, sich wieder zu erheben. Es fehlte ihm an Erfahrung und an Lardis’ Vorwissen in diesen Dingen.
Lardis spürte, wie Peder sich neben ihm ungeduldig regte und ein Bein ausstreckte. Er griff nach ihm, und seine harten Finger gruben sich unnachgiebig in Peders Schulter und hielten ihn am Boden. Lardis’ drei Männer bemerkten, wie ihr Anführer sich zusammenkauerte, und duckten sich sich noch tiefer, verschmolzen nachgerade mit den Umrissen der Felsen.
»Was ...?«, setzte Peder an, und seine Stimme war nur ein Hauch, doch Lardis warnte ihn mit einem heiseren, atemlosen Flüstern: »Sage nichts! Tue nichts! Beweg dich nicht, atme nicht, denke nicht einmal – oder wenn es sein muss, dann denke an Schweigen, an Schlaf, an die Zeit im Bauch deiner Mutter, wo es außer der Geburt nichts zu fürchten gab! Tu, was ich dir sage, wenn du weiterleben willst!«
Peder hörte diese Worte nicht zum ersten Mal; diese Warnungen hatte er schon als Kind zu beherzigen gelernt. Denn wie jedes Kind der Wanderer hatte man auch ihn in der Kunst der Stille unterwiesen: Darin, nicht gehört zu werden, nicht gesehen zu werden ... nicht zu sein.
Ihm fiel wieder ein, wie sein Vater ihm in einer furchtbaren Nacht eben jene Worte ins Ohr gehaucht hatte, und wie er beim folgenden Sonnauf weder Vater noch Mutter mehr hatte. Es war so lange her, so schrecklich, sich daran zu erinnern, dass er es fast vergessen hatte ...
Aber nun wollte Peder Szekarly sehr gerne am Leben bleiben, ebenso wie seine Gefährten, die reglos wie ein Stein verharrten, und so verlängerten sich die Sekunden zu Minuten.
Als dann die Zeit selbst sich verlangsamte und sich zum Jetzt zusammenzog, verdickte sich die nächtliche Luft und legte sich mit einem unausgesprochenen, jedoch fast greifbaren Grauen wie ein bleiernes Gewicht auf sie. Fast schien es, als wären die Herzschläge der vier so laut wie Trommelschläge, die gegen ihre Rippen pochten – und jeder glaubte, dass der Mann neben ihm ihn sicher hören musste, und betete, dass es sonst niemand hörte. Die vier wandten wie ein Mann die Köpfe und blickten zurück auf den Weg, den sie gekommen waren. Von dort waren die großen Fledermäuse erschienen, und wenn ihre Meister in der Nähe waren ...
Das war der Fall, und im nächsten Augenblick sahen Lardis und seine Männer sie auch schon.
Als dunkle Flecken wie riesige Flugdrachen oder sonderbare Blätter, deren gezackte Ränder im Wind über der Sternseite flatterten, stiegen sie bedrohlich aus dem erdrückenden Schleier der Nacht empor. Über die Baumgrenze, über die niedrigeren Gipfel und höher in den Himmel hinauf, wo sie die klaren, hellen Sterne mit ihren albtraumhaften Umrissen verdeckten.
Ein Schwarm nächtlicher Zugvögel auf dem Weg gen Osten spürte ihr Nahen und löste sich krächzend in ein Dutzend davonirrender Geschwader auf. Eulenpärchen stürzten sich gemeinsam von Felsvorsprüngen, glitten über die Klüfte und suchten nach einem Versteck. Lardis’ Gefährten, allesamt tapfere Männer, schlossen die Augen, hielten regelrecht den Atem an und überließen es ihrem Anführer, den Kurs der schrecklichen Gestalten vor dem sternklaren Himmel zu bestimmen. Und da kamen sie auch schon heran, diese grässlichen, keilförmigen Kreaturen, deren Rochenschwingen sie mit lautlosen Schlägen in die oberen Regionen trugen.
Es handelte sich um Flieger, deren vormals menschliches Fleisch umgewandelt und zu Luftsegeln geformt worden war ... zu gewaltigen Membranhäuten, die sich über weichen, gebogenen Hohlknochen spannten und die Luft zum Anhub und Auftrieb einfingen ... Ihre flachen, spatelähnlichen Köpfe nickten an langen Hälsen hin und her und schnupperten nach den Brisen von der Sternseite, die zwischen den Gipfeln dahinfegten und für Aufwinde sorgten. Es waren Flieger, zwei davon, die Luftbeobachter und Kommandoposten ihrer Wamphyri-Schöpfer und Meister. Darüber hinaus dienten sie ihnen als Reittiere!
Flüchtig erspähte Lardis zwei kleinere Gestalten, die sich in den Sätteln am Nackenansatz der Tiere
Weitere Kostenlose Bücher