DÄMONENHASS
Horizont spielten. Nun waren die Fenster zwar breit genug, dass ein Mann hindurchpasste, aber er unternahm keinen Versuch, hinaufzusteigen und sich durch die dicke Außenwand zu zwängen. Es reichte ihm schon, dass er den Kopf hinausstrecken konnte. Denn draußen verlief ein gefährlich schmaler Sims oder Balkon entlang der Turmwand, und eine niedrige Mauer aus verwachsenen Knorpeln stellte den einzigen Schutz gegen einen Abgrund dar, der wenigstens zwölfhundert Fuß tief sein musste ... Die ganze Sache machte doch einen sehr unsicheren Eindruck! Überhaupt konnte man von dort in der Hauptsache nur von Turgosheim weg sehen, und die Aussicht war daher ganz uninteressant. Jedenfalls war das Nathans Entschuldigung ...
Als er Maglores Küche durchstöberte, kam lautlos ein Vampirknecht herangeglitten und machte die Stätte sauber. Einst war der Mann ein Szgany gewesen; jetzt war er klein, dürr und totenbleich. Nur seine Augen zeigten etwas Leben. Sie waren gelb wie die eines wilden Tieres und blickten gefährlich. Als er Nathan sah, zuckte er zusammen und wurde dann neugierig. »Du bist wohl der Neue«, sagte er und nickte. »Na ja, du hast noch eine Menge zu lernen. Zum einen hältst du dich gerade am falschen Ort auf. Für dich ist ein Zimmer bereitgestellt worden. Wenn Maglore dich hier entdeckt ...«
»Er ließ mich hier zurück«, entgegnete Nathan. »Mir sind keine Einschränkungen auferlegt.«
»Ach ja?« Der andere hob eine Augenbraue und setzte ein leicht höhnisches Grinsen auf. »Dann musst du dich glücklich preisen – für den Augenblick!« Er machte sich ans Werk. »Ich habe dich jedenfalls gewarnt.«
Als er ihn bei der Arbeit beobachtete (er arbeitete emsig und säuberte die Küche peinlich genau), dachte Nathan: Dieser Mann war ein Szgany wie ich. Jetzt ist er ein Knecht, ein Vampir, der nächste Schritt zwischen Szgany und Offizier. Nur hat er seine Grenzen erreicht, weil er nicht ... aus dem rechten Stoff gemacht ist? In Siedeldorf hat Lardis Lidesci seinesgleichen verbrannt, ehe sie sich auf den Weg zur Sternseite machen konnten. Soll ich ihn bemitleiden oder soll ich ihn fürchten?
»Warum beobachtest du mich?« Der andere fuhr mit geweiteten Nüstern und funkelnden Augen zu ihm herum, und Nathan erkannte, dass er ihn wahrlich nicht bemitleiden sollte. Dafür war es schon viel zu spät.
»Du musst dich hier doch gut auskennen«, sagte er – eigentlich nur, um etwas zu sagen.
»Runenstatt? Turgosheim? Die kenne ich schon recht gut«, antwortete der Vampir. »Ich weiß, was ich tun darf und was verboten ist, die Orte, die ich sicher beschreiten kann, und jene, die ich niemals betreten darf. Denn im Unterschied zu dir genieße ich in dieser Hinsicht keinerlei ›Vorrechte‹.«
Nathan erklomm eine hölzerne Treppe und spähte durch ein hohes rundes Fenster, das nach Westen mit einer leicht südlichen Neigung führte und ihm so einen guten Blick auf ganz Turgosheim gewährte. »Maglore sagt, dass er mich nicht verwandeln wird«, sagte er halb im Selbstgespräch. »Er will mich als Freund haben. Offenbar wünscht er, dass ich meine Szgany-Tatkraft behalte.«
Kichernd folgte ihm der andere über die Stufen. »Was denn? Du sollst sein Freund sein, sagst du? Na, solche ›Freunde‹ hat er schon gehabt, unser Maglore. Ich bin mir doch nicht so sicher, ob ich dich noch um dein reines Blut beneide. Hier in Runenstatt ... sind einige Dinge für einen Vampir leichter.«
Nathan streifte flüchtig seinen Geist. In ihm herrschte ein großer Hunger nach Blut, ebenso wie große Furcht vor Maglore. Aber da waren auch Leid und Neugier und eine Sehnsucht, die der nach einer abwesenden Liebe glich, die weit fort oder auf ewig verloren ist. Nathan verstand das Gefühl nur zu gut. »Bist du schon lange hier?«, fragte er.
»Wer zählt schon die Tage?« Der andere zuckte die Achseln und starrte Nathan mit brennendem Blick an. »Wir sind vermutlich etwa gleich alt, vielleicht bin ich auch ein oder zwei Jahre älter als du. Aber ich kam von der Sonnseite hierher, als ich sechzehn Jahre alt war. Vielleicht lebe ich noch einmal so lange. Ein netter Albtraumgedanke, nicht wahr? Ha, wäre ich kein Vampir, ich würde mich aus diesem Fenster stürzen, damit die Wachkrieger mich zerschmettert am Grund von Turgosheim finden, wenn die Sonne auf die Grenzberge scheint! Aber leider bin ich ein Vampir und daher zählebig! Vielleicht brächte ich es fertig, aber mein unheimliches Blut lässt es nicht zu.«
»Trinkst du das
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