DÄMONENHASS
einer der Zwillinge hereingestapft, hatte sich die Augen gerieben und kurz vor dem Weinen gestanden. Offenbar hatte er einen Albtraum gehabt, sonst hätte er nicht sein Bettchen verlassen, um zu seiner Mutter zu kommen. So klein sie auch waren, schliefen Nanas Zwillinge am liebsten allein.
Nana hatte ihn unter ihre Decke in ihre Wärme gezogen und ihn getröstet: »Ach, Liebling! Alles ist gut, alles ist gut«, und ihm übers Haar gestrichen. Sie hatte selbst noch halb geschlafen und tastete automatisch nach dem schmalen Lederstreifen, den er am linken Handgelenk trug. So hielt Nana die Zwillinge im Dunkel der Nacht auseinander: Nestor trug ein einfaches Band, einen einfachen Lederstreifen, den ein paar kräftige Nähte zusammenhielten, während Nathans Band etwas gedreht war. Sie erkannte den Kleinen, als er sich an sie kuschelte, spürte, wie sein kleines Herz schlug, und fragte: »Was war denn, hm?« Sie drückte ihn an sich. »Ein Traum? Ein böser Traum?«
Allmählich erwachte der Wald. Die Vögel erfüllten die Luft mit ihrem Morgengezwitscher, Licht fiel in dunstigen Strahlen durch die Bäume. Sonnauf, und alles war gut. Dennoch war etwas nicht in Ordnung. Nana spürte es in den Knochen: eine nagende Unruhe, eine lästige Besorgtheit. Aber worüber?
»Mama?« Das Kind in ihren Armen schlief schon beinahe wieder.
»Ja?«
»Mein ... mein Papa ...«, sagte er. Das hatte er noch nie gesagt.
»Schhhh!«, sagte sie. »Schhhh!« Und mit einem Hauch von Bitterkeit dachte sie: Dein Papa schläft auf der Sternseite in den Armen der Lady Karen, und sie verstecken sich vor dem Licht des neuen Tages.
»Tot«, nuschelte das Kind und schmiegte sich enger an ihre Brust. Nur ein Wort, aber was für eins! Es füllte Nanas Adern mit Eis.
»Was?«, fragte sie ihn. »Tot? Ist etwas tot?«
»Ist er tot?«, kam die nicht ganz wache Antwort, die zugleich eine Frage war und ihr erneut das Blut erstarren ließ. »Ist er tot, mein Papa?«
Nana wusste, dass sie nicht wieder einschlafen würde, also stand sie auf. Auf der morgendlichen Lichtung entdeckte sie Jasef Karis auf dem Rücken liegend. Seine Augen waren starr und leblos, und der Tau tropfte ihm von der Nase. Nun glaubte sie zu verstehen, was ihr kleiner Sohn ihr hatte sagen wollen. Er hatte nicht von seinem Vater gesprochen, den er nie gekannt hatte (und auch unmöglich kennen konnte), sondern von dem alten Seher, dem Mentalisten Jasef.
Doch weit im Osten, hinter den Bergen, erhob sich ein Vorzeichen!
Der brodelnde Himmel über der Sternseite war schwarz, und die Unterseiten der Wolken flackerten rötlich im Widerschein von Bränden ...
TEIL ZWEI: EIN WEITERER RÜCKBLICK UND EIN AUSBLICK
ERSTES KAPITEL
So viel ist bekannt: Shaitan, der Erste der Wamphyri, erinnerte sich weder an Mutter noch Vater, noch verstand er seinen eigenen Ursprung. Ihm kam es so vor, als sei er einst voll ausgewachsen ins Dasein getreten, ausgestattet mit einem eigenen Willen, jedoch ohne nennenswerte Erinnerungen. Danach war er auf die Erde gefallen oder geworfen worden, wobei in diesem Fall mit Erde der Boden und nicht der Planet gemeint war. Jedenfalls fand er sich auf der Oberfläche einer der vielen Welten in einem der unzähligen Universen des Lichts wieder. Ganz schwach (und noch während er dies dachte, entschwand das Bild auch schon) erinnerte er sich an so etwas wie ... ausgestoßen worden zu sein.
Die Welt, auf die er gestürzt war, konnte in gewisser Hinsicht als alte Welt, in anderer jedoch als neue bezeichnet werden. Vor Kurzem war ihr Übles widerfahren: Ein Schwarzes Loch, das den Großteil seiner Masse verloren hatte und so zu einem Grauen Loch verkommen war, hatte die Raum-Zeit durchbrochen und sich hier abgesetzt, wodurch der Planet erheblichen Umwälzungen unterworfen war. Aber dieses doch recht vorhersehbare Desaster wurde durch die unvorhersehbare Katastrophe namens Shaitan noch in den Schatten gestellt.
Er sollte der Urahn von Wesen werden, deren Beschaffenheit sie zu einer Bedrohung nicht nur für eine, sondern gleich zwei Welten machte und die Sagen und Legenden beider Welten mit Grauen und äußerstem Schrecken erfüllte. Denn Shaitan war ein Vampir.
Und doch: Als er fiel (oder ausgestoßen wurde), war er noch kein Vampir gewesen. Das sollte erst später kommen, und zwar aufgrund einer bewussten Entscheidung, einem Akt freien Willens, durch seine menschliche Neugier. Und so geschah es ...
Als Shaitan sich urplötzlich seiner selbst bewusst wurde, schrie er auf
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