DÄMONENHASS
herrschten, rasch in ein Bild der Tragödie, der Trauer und der Gram verwandelt.
Niemand empfand den Verlust der Szgany Hagi tiefer als Heinar Hagi. Er konnte das Leid der weinenden Frauen nicht mit ansehen. Er gab Anweisungen, für die Hinterbliebenen dieses scheußlichen Verbrechens zu sorgen, und zog sich auf sein Ruhelager zurück. Im Laufe der langen, vierzigstündigen Nacht stand er immer wieder auf, und noch lange vor Sonnauf wollte er einen Suchtrupp ins Hügelland führen, um die Körper der Toten zu bergen. Wenn sie dort oben dabei zufällig auf eine Gruppe Ausgestoßener oder Einzelgänger trafen ... Aber Heinar wusste, dass die Chancen dafür sehr schlecht standen.
In der Zwischenzeit hatte die Witwe Gogosita ihren Sohn in ihr Zelt bringen lassen und wachte an seiner Seite. An seinem Hals war das übel zugerichtete Fleisch angeschwollen, wies Wunden auf und war vermutlich entzündet. Er hatte hohes Fieber, warf sich unablässig hin und her und sprach stöhnend im Schlaf. Die Dinge, von denen er sprach, entsprangen den finstersten Albträumen und rührten zweifellos von dem, was er in den Hügeln erlebt hatte.
Am Lagerfeuer hatte man es Shaitan etwas bequemer gemacht, eine Decke über ihn gebreitet und ihm ein Fellbündel unter den Kopf geschoben. Maria Babeni war zu ihm gekommen, hatte sich neben ihn gesetzt und starrte nun im flackernden Feuerschein auf sein hageres, hübsches Gesicht. Ihrer Ansicht nach sollte man ihn aufnehmen, ihm eine ordentliche Unterkunft verschaffen und ihm anständige Pflege und Schutz angedeihen lassen, bis er sich wieder ganz erholt hatte. Hatte er nicht sein Leben für die Männer der Szgany Hagi aufs Spiel gesetzt? Sicher – vergeblich, was ihren Vater und Klaus Luncani betraf ... Aber wenigstens den jungen Vidra Gogosita hatte er gerettet. Wenn die Nachtwache zurückkehrte, würde sie ihn in ihren kleinen Wohnwagen bringen lassen (ach ja, nun gehörte er ihr, so einsam es darin auch war), wo sie ihn pflegen konnte, wie er es verdiente.
Genau so hielt sie es.
Aber der Großteil des Lagers schlief weiter. Die meisten bekamen von den nächtlichen Ereignissen nichts mit und sollten es erst erfahren, nachdem sie aufgestanden waren, gegessen, sich um ihre Tiere gekümmert und ihren Wachdienst angetreten hatten. Falls zuvor nicht etwas geschah, das ihren gewohnten Ablauf unterbrach.
Die Sterne drehten sich in ihrem endlosen Reigen und tauchten die Lichtung am Waldrand in ihren funkelnden Glanz. Hoch oben in den Bergen heulte ein einsamer Wolf seine Herrin, die Mondsichel, an, dass sie sich erheben und ihm Licht für die Jagd spenden möge ...
Als Maria Babeni sich hinter einem Vorhang bettfertig machte, hörte sie, wie Shaitan sich regte, dann sein Stöhnen. Sie schloss ihr Nachtgewand und ging zu ihm. Er lag im Bett ihres Vaters am anderen Ende des Wagens. Im Licht eines ölgetränkten Dochtes sah sie, dass sein Gesicht unverändert blass war. Das lange, dunkle Haar von der Farbe eines Rabenflügels hatte er zurückgeworfen, die Lippen waren fast so rot wie die eines Mädchens. Nach seinem Aussehen zu urteilen, war er vielleicht vierzig Jahre alt; seine Züge waren ebenmäßig, seine Stirn hoch und zeugte von Klugheit und Adel. Für einen Mann war Shaitan durchaus schön zu nennen.
Woher er auch kommen mag, dachte sie, ein Szgany ist er nicht.
Dann schlug Shaitan die Augen auf.
Jetzt war es nicht mehr zu verkennen: Seine Augen waren rot!
Maria keuchte auf, als sie sich über ihn beugte. Und so rasch wie ihre Gedanken – genauso rasch – packte er sie am Arm, erhob sich halb auf einen Ellbogen ... schloss dann die Augen, ließ sie los und sank wieder zurück. Da er wusste, was sie gesehen hatte, sagte er: »Meine Augen ... meine Augen! Sie tun weh. Das Blut steht in ihnen. Jemand hat mich geschlagen ...«
»Blutunterlaufen?« Das Wort entschlüpfte ihr, als habe es jemand heraufbeschworen, was in gewissem Sinne ja auch zutraf. Seine Augen waren blutunterlaufen? Derart gleichmäßig?
Einen Moment lang, nur einen Augenblick, hatte Maria etwas anderes als einen hübschen Mann vor sich gesehen. Etwas Grässliches, das hinter der schönen Maske lauerte. Aber ... Das konnte nur an der Eigenart dieser Begegnung liegen – daran, dass dieser Mann im Bett ihres Vaters lag und Maria des Nachts mit ihm allein war. Seit dem Tag, an dem ihre Mutter gestorben war, hatte Maria trotz ihrer neunzehn Jahre nur die Gesellschaft ihres Vaters gekannt. Und das Wissen um den neuerlichen
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