DÄMONENHASS
Shaitan schlug ihm die Armbrust aus der bebenden Hand und zerrte ihn zu sich.
»Lupé?«, knurrte er leise, fast im Gesprächston, und neigte den Kopf zur Seite. »Ach nein – ich heiße Shaitan!« Und ehe er seine Fänge an den zuckenden Hals führte, flüsterte er: »Aber von jetzt an wirst du mich Meister nennen ...«
Mit seinem neuen Gefolgsmann, der der erste zur Gänze menschliche Untertan der Wamphyri war, machte Shaitan sich wie zuvor auf den Weg nach Osten. Es gab keine weiteren Verfolger, die Nacht war lang, und sie legten eine erkleckliche Anzahl an Meilen zurück – bevor die Sonne sie erreichte.
Denn Shaitans Symbiont oder Schmarotzer stellte ein zweischneidiges Schwert dar: Man konnte seine Vorteile nicht nutzen, ohne auch seine Nachteile in Kauf zu nehmen. Das Sonnenlicht hatte Shaitan von Anfang an gereizt – im Grunde seit dem Augenblick, da er die roten Leichensporen eingeatmet hatte. Doch jetzt sengte es ihm in siedender Pein in den Augen und auf der Haut. Es verbrannte ihn, dampfte ihm sichtbar die Feuchtigkeit aus dem Fleisch, fraß sich wie Säure in ihn hinein und beraubte ihn aller Kraft. Er konnte den Schatten sekundenlang verlassen, aber ein minutenlanges Verweilen würde ihn entsetzlich schwächen, und binnen einer Stunde wäre er tot. Im Augenblick war sein Knecht noch nicht allzu beeinträchtigt, doch im Lauf der Zeit musste auch er sich vor dem unmittelbaren Sonnenlicht verbergen. Solcherart war das Ausmaß von Shaitans Verderbtheit und seiner Verseuchung.
Sie kletterten schräg aufwärts gen Osten, ließen die Vorberge hinter sich und befanden sich auf dem Weg zur Baumgrenze, als der Sonnauf in den Tälern und Wäldern der Sonnseite Nebeldunst aufsteigen und seine goldenen Strahlen über den Gipfeln spielen ließ. Die Strahlen fanden sich irgendwann zu einer gelben Feuerwand zusammen, die stetig auf die Wanderer zukroch, die wie Ameisen arglos am Berghang umherstiegen.
Dennoch argwöhnte Shaitan (oder sein Parasit) etwas. Er war unruhig, und aus einem unerfindlichen Grund drängte es ihn fort von diesem Ort, hin zur Kühle der Sternseite. Doch als er die Wirkung der ersten noch schwachen Strahlen auf seiner Nacktheit spürte und mit Erstaunen bemerkte, wie rasch seine Körperflüssigkeiten verdunsteten und sein Fleisch versengt wurde, begriff er sehr wohl, warum sein Instinkt – oder der seines Vampirs – ihn dazu trieb, Deckung zu suchen. Und so wurden Shaitan und sein Knecht Ilya Sul in den Schatten einer tiefen Höhle getrieben, in der sie den ganzen Tag lang ausharrten.
In der Höhle hatte irgendein Tier gehaust, doch jetzt war sie verlassen. Die Nebenhöhlen und Abzweigungen waren kühl, feucht und dunkel, also fühlte Shaitan sich recht sicher. Aber er empfand auch Hunger. Die kurze Einwirkung der Sonnenstrahlen hatte ihn empfindlich geschwächt. Er stillte seinen Hunger an Ilya Sul, was den Mann zwar noch mehr schwächte, ihn aber auch zugleich enger an seinen Herrn und Meister kettete. Zudem wurde das Feuer des Vampirs in Sul genährt und seine Verwandlung damit beschleunigt. Als er danach mit der Armbrust am Hang auf Jagd ging, um sich Nahrung zu verschaffen, kehrte er binnen einer Stunde schwach und blasenübersät zurück. Aber er hatte wenigstens ein Ziegenjunges erlegt, an dem Shaitan sich satt fraß, ehe er Sul die weniger schmackhaften Teile zuwarf.
So nährten sie sich.
Und dann schliefen sie, denn mittlerweile konnten sie das Gewicht der aufgehenden Sonne spüren, das wie ein unbeweglicher Felsen auf ihnen zu lasten und den Höhleneingang zu versperren schien. Das bedeutete, dass sie eine Zeit lang ohnehin nicht weiterwandern konnten. Shaitan konnte geradezu hören, wie das Land vor der Höhle in der todbringenden Hitze schmorte, er konnte sogar das Sengen der Felsen riechen , und seine Haut zog sich zusammen, als ihm klar wurde, was dieser goldene Glutofen mit ihm anstellen würde ...
Shaitan fuhr aus dem Schlaf!
Er rüttelte Sul und mahnte ihn zum Schweigen. »Die Sonne steht hoch«, raunte er. »Ich kann sie fühlen. Außerdem spüre ich Sonnseiter! Also komm, such dir ein dunkles Loch.« Sie zogen sich tiefer in die Höhle zurück und fanden schattige Nischen, in denen sie sich verkrochen.
Die müden Fährtensucher erreichten mit ihrem Wolf die Höhle, doch sie betraten sie nicht. Denn als Shaitan dort lag, bezwang er den Drang, einen Nebel heraufzubeschwören und darin zu fliehen (etwa ins Sonnenlicht?). Stattdessen richtete er seinen Willen darauf,
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