Dämonenherz
sich auch so fühlte? Er und die anderen reichen Leute, die sich alles leisten konnten? Verlor da nicht plötzlich alles an Wert? Sie wusste nicht, wofür sie sich entscheiden sollte, und betrat schließlich eine nobel aussehende Boutique, die wohlweislich darauf verzichtet hatte, Preisschilder ins Schaufenster zu stellen.
Die Verkäuferin beachtete sie zunächst nicht. Anna streifte um die Kleiderständer, holte das eine oder andere Stück hervor und hielt es sich am Bügel vor die Brust. Seide, Pailletten, Chiffon und Perlen, in strahlenden oder gedeckten Farben, aber nichts gefiel ihr. Schließlich bequemte sich die Verkäuferin, sich dieser seltsamen Kundin in Jeans und Turnschuhen zu widmen.
»Sie brauchen ein Ballkleid?« Misstrauisch musterte sie Annas Aufzug. »Für den Ball? Was wollten Sie denn ausgeben?«
»Das ist egal.« Anna hängte eine Kostbarkeit aus regenbogenfarbenem Taft zurück an den Ständer.
Auf das herbe Gesicht der Verkäuferin legte sich bei diesen Worten ein professionelles Lächeln.
»Nun, und an welche Farbe hatten Sie gedacht?«
»Egal.«
»Und welchen Schnitt? Ärmellos oder schulterbedeckend?«
»Egal.«
»Welche Größe denn?«
»Egal.«
»Hm.«Die Dame zog ein kleines Maßband hervor und bat Anna, die Arme zu heben. »Also zumindest die Größe müssten wir schon festlegen. Ist irgendetwas heuer mit dem Ball?«
»Heuer?«
»In diesem Jahr. Ist der Ball des Zodiak anders als die Jahre zuvor?«
Anna hob die Schultern. »Das weiß ich nicht. Ich bin zum ersten Mal dabei. Warum?«
Die Dame ging in die Knie und maß Annas Beinlänge.
»Sie sind bereits die zweite Kundin, die so kurz vor dem Ball so gar nicht weiß, was sie haben will.«
Mit einem leichten Ächzen stand sie wieder auf. »Entschuldigen’S, gnä’ Frau.«
Sie ging hinüber zu einer der Umkleidekabinen. »Und? Ist jetzt was dabei?«
»Nein.«
Anna fuhr herum. Diese Stimme kannte sie doch! Die Verkäuferin verdrehte gerade die Augen, als ob sie damit sagen wollte, wie anstrengend die Kundin in der Kabine war.
»Vicky?« Anna lief zu der Kabine. »Bist du das?«
Mit einem Ruck wurde der Vorhang zurückgezogen.
»Anna! Was machst du denn hier?«
Vicky stand vor ihr, erhitzt und aufgelöst, in einem viel zu engen Miederkleid. Ihre widerspenstigen Locken klebten an den Schläfen, und in ihren Augen flackerte die Panik.
»Anna!«
Vicky stolperte hinaus und breitete die Arme aus. Anna fiel hinein, und beide fingen gleichzeitig an zu lachen und zu weinen.
»Vicky! Die gleiche Frage könnte ich dir stellen. Was zum Teufel machst du in Wien?« Anna beugte sich vor, damit Vicky ihr Flüstern verstehen konnte. »Und in diesem Geschäft?«
»Ich brauch was für den Ball des Zodiak.«
»Ich auch!«
Vicky trat einen Schritt zurück, geriet in den Saum ihres Kleides, und ein lautes Ratschen verriet, dass es mit der Würde dieserAbendrobe wohl vorbei war. Sie hielt die Hand vor den Mund und begann zu kichern.
Die Verkäuferin eilte herbei und musterte die beiden jungen Frauen mit strengen Blicken.
»Was ist denn passiert? Gehn’S, wenn was kaputt ist, den Schaden müssen’S mir schon ersetzen!«
»Ja ja«, antwortete Vicky und zog Anna zu sich in die Kabine. Hinter dem geschlossenen Vorhang prusteten beide noch einmal los.
»Ach, Vicky«, japste Anna. »Wie habe ich das vermisst!«
»Und ich erst. Schau dir das an! Ich wittere eine Weltverschwörung der Reißverschlusshersteller!«
Anna drehte ihre Freundin um und begutachtete das Malheur.
»Wie kommst du auf den Ball des Zodiak?«, fragte sie.
Vickys Schultern strafften sich plötzlich. Die Heiterkeit verschwand, und ihre Stimme klang plötzlich sehr neutral.
»Ich bin mit meiner Chefin hier. Und du?«
»Mit meinem Chef.«
Anna zog den Reißverschluss nach unten. Das Kleid fiel von Vicky ab und auf die Erde. Erleichtert drehte sich ihre Freundin um.
»Danke.«
Sie lugte durch einen Spalt zwischen Vorhang und Kabinenwand nach draußen. »Hat sie dich auch so von oben herab behandelt? Eigentlich sollten wir hier nichts kaufen.«
Anna nickte. »Aber wir sind jung und brauchen ein Kleid. Soll ich dir helfen, eins auszusuchen?«
Vickys große Augen strahlten. Das war Antwort genug. Anna verließ die Kabine und kam wenig später mit drei Abendkleidern zurück, die allesamt genau Vickys etwas frechem, kunterbuntem Stil entsprachen. Dann nahm sie draußen auf einem samtbezogenen Sessel Platz und ließ sich von der Verkäuferin einen Kaffee servieren.
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