Dämonenherz
denken. Wenn sie nicht ein Fall für den Psychiater war, dann hatte sie soeben Dinge erlebt und gehört, die weit über das hinausgingen, was eine Sterbliche erfahren durfte.
»Sie sind doch die Baronesse von Hohengarden?«
»Aber ja, mein Kind, das bin ich.«
»Sehen Sie«, sagte Anna. »Entweder kann ich hellsehen, oder wir beide sollten uns einmal miteinander unterhalten.«
Die alte Dame tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit ihrem Begleiter. Dann lächelte sie.
»Nun, wenn ein so junges Ding die Gesellschaft einer alten Schachtel nicht langweilt, dann wäre es mir eine Ehre, Sie morgen zum Tee zu empfangen. Henry, gib Frau Sternberg doch bitte meine Karte.«
»Sie wissen, wer ich bin?«
Der Herr reichte Anna eine Visitenkarte. Die alte Dame gab Anna die Hand.
»Sicher. Das wissen wir alle.«
»Wer ist wir ?«
»Morgen, mein liebes Kind. Morgen. Henry? Es wird Zeit.«
Henry schlug die Hacken zusammen und bot der Baronesse seinen Arm an. Er musste ihr Diener sein, denn sie war diejenige, die hocherhobenen Hauptes davonschritt; er hingegen hielt ihr die Tür auf und achtete darauf, dass andere Gäste seine Dame nicht anrempelten. Anna warf einen Blick auf die Karte und hätte sie im gleichen Moment beinahe fallen gelassen. Die Schrift wardieselbe wie in den Verträgen. Für Anna war es nicht möglich, sie zu entziffern.
»Baronesse?«
Doch die beiden waren schon verschwunden. Anna steckte die Karte in ihre Tasche. Offenbar glaubten alle hier, sie austricksen zu können.
Oder sie halten mich für jemanden, der ich nicht bin.
Anna wusste nicht, welche der beiden Möglichkeiten ihr weniger gefiel. Sie verließ die Oper. Am Nachthimmel explodierte in leuchtenden Farben ein Feuerwerk.
19 .
E s war spät am Vormittag, als Anna durch das ungeduldige Klopfen des Zimmermädchens geweckt wurde. Nachdem sie der jungen Frau gesagt hatte, dass sie später wiederkommen solle, zog diese unverrichteter Dinge wieder ab. Anna ging ins Badezimmer. Die leichte Verwüstung, die sie und Weller dort angerichtet hatten, war schon am Abend zuvor beseitigt worden. Gute Geister hatten zudem den Servierwagen abgeräumt und ihr Bett aufgeschlagen, in das sie hineingefallen war wie eine Tote. Im Spiegel suchte sie nach Spuren der vergangenen Nacht. Die leicht geröteten Augen führte sie auf den Genuss von zu viel Champagner zurück. Ebenso wie die Kopfschmerzen, die auch nicht verschwanden, nachdem sie heiß und kalt geduscht hatte. Die Traurigkeit aber, die sie fühlte, hatte andere Gründe. Sie glaubte nicht mehr an Alpträume und Halluzinationen. Und sie glaubte nicht mehr an Weller. Sie wollte nur noch herausfinden, welches Spiel er mit ihr spielte. Dafür brauchte sie die Baronesse.
Sie war noch im Bademantel, als es erneut klopfte. Anna schlang sich ein Handtuch um die nassen Haare und öffnete. Vor ihr stand der Mann, von dem sie am wenigsten erwartet hätte, ihn jetzt zu sehen.
»Ausgeschlafen?«
Weller ging an ihr vorbei ins Zimmer. Er trug eine Dokumentenmappe bei sich, die er auf ihren Schreibtisch warf.
»Esgibt Arbeit. Du hast das Wochenende frei, aber dafür wirst du gleich am Montag nach Palermo fliegen und einen Vertrag …«
»Moment.«
Anna hob beide Hände. Bevor er sie wieder mit seinen rätselhaften Botengängen eindeckte, wollte sie eines klarstellen.
»Ich arbeite nicht mehr für dich. Ich habe gekündigt.«
Weller musste die Nacht entweder im Fitnessstudio oder im Tiefschlaf verbracht haben. Er sah beneidenswert frisch aus und trug wieder einen seiner maßgeschneiderten Anzüge aus feinstem italienischen Tuch. Die Müdigkeit der letzten Tage war zwar nicht ganz verschwunden, aber Rasur und Dusche hatten das Beste aus ihm herausgeholt. Obwohl Anna versuchte, jedes Gefühl für ihn aus ihrem Herzen zu radieren, gelang es ihr nicht. Er wirkte kühl, fast schroff.
»Ich habe deine Kündigung nicht angenommen. Wenn du also in Palermo eintriffst, wird Jean-Baptiste dich …«
»Hast du mich nicht verstanden? Ich arbeite nicht mehr für dich!«
»Das geht nicht.«
Annas Verblüffung musste ihr ins Gesicht geschrieben stehen. »Und warum nicht?«
»Weil du mir dein Wort gegeben hast.«
»Das wüsste ich aber. Ich kann mich nicht erinnern.«
»Du erinnerst dich an vieles nicht.« Er trat einen Schritt auf sie zu. Anna, die Angst hatte, dass er sie berühren wollte, wich zurück. Weller blieb stehen.
»Du wolltest einen Job. Ich habe ihn dir gegeben. Warum willst du nicht mehr für mich
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