Dämonenherz
Geruch von kaltem Rauch aus seinen Kleidern. Seine trüben Augen starrten immer noch an die Decke. Sie hob die Hand und wollte in einer Geste der Pietät seine Lider schließen, da hob sich sein Brustkorb, und ein rasselnder Atemzug entwich seiner Lunge.
Anna schrie auf. Das war doch nicht möglich! Er war tot!
»Herr Guyot?« Sie stupste seine Schulter an. Das Ergebnis war, dass der Kopf mit den toten, offenen Augen von einer Seite zur anderen fiel. Die trüben Linsen starrten sie an. Wieder hob sich seine Brust.
Von Grauen gepackt, sprang Anna auf und rannte zur Tür. Keine Sekunde zu früh, denn der Fahrstuhl hatte sich von unten wieder in Bewegung gesetzt. Anna spürte, dass sie nahe daran war, in Panik zu geraten. Sie stand unter Schock. Was war in dieser Suite geschehen? Wo war Weller?
Guyots Kamera lag links neben ihm. Ohne zu überlegen, bückte sie sich und hob sie auf. Vielleicht hatte er seinen An greiferfotografiert. Sie zwang sich ein letztes Mal, die Gestalt auf dem Boden anzusehen. Um ein Haar hätte sie sich übergeben. Guyot hatte nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Mann, mit dem sie im Kurpark-Café aneinandergeraten war. Er schien vor ihren Augen grauer zu werden. Und dann entdeckte sie das Schrecklichste, das sie jemals gesehen hatte: Aus seinen Ohren rieselte Sand. Es gab zwei Gründe, sich das nicht genauer anzusehen. Der erste war, dass es einfach ekelhaft war. Der zweite, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb.
Gleich würde der Aufzug das oberste Stockwerk erreichen. Sie musste eine Treppe finden. Es musste eine geben, das war baupolizeilich gar nicht anders möglich. Aber wo, hinter welcher Seidentapete hatte man sie versteckt? Im Halbdunkel schob sich ein Lichtstreifen durch die Ritzen der Fahrstuhltür.
Von Panik getrieben drehte sie sich um. Links neben dem Eingang zur Suite leuchtete ein schwaches Licht. Es erhellte das Piktogramm eines Männchens und einer Treppenstufe und wies den Weg über eine Tapetentür zum Notausgang. Noch wäh rend sie hinter ihrem Rücken das leise Zischen hörte, mit dem die Druckluft die Aufzugskabine zum Stillstand brachte, hatte sie die Tür aufgerissen und sofort hinter sich wieder verschlossen. Sie hielt den Atem an und lauschte. Gedämpfte Schritte und männliche Stimmen waren zu hören. Ihre Verfolger liefen direkt in die Suite. Anna hatte nicht vor, sie mit offenen Armen zu erwarten. In fliegender Hast eilte sie die Stufen hinunter.
Sie hatte gut die Hälfte des Weges nach unten hinter sich gebracht, als die Männer ihren Fluchtweg entdeckten. Licht flammte im Treppenhaus auf und blendete sie. Wahrscheinlich wurde gerade der Sicherheitsdienst des gesamten Hotels informiert, dass sie auf der Flucht war. Sie raste weiter und dankte dem Himmel für die Eingebung, an diesem Tag keine Pumps zu tragen.
Sie erreichte das Erdgeschoss. Schwer atmend blieb sie stehen. Ihre Verfolger holten auf und waren vielleicht noch zwei Stockwerke über ihr. Es war unmöglich, jetzt hinaus in die Lobby zu spazieren und dem Rest der Hotelangestellten in die Arme zu laufen.Sie wollte sich gar nicht vorstellen, mit welcher Genugtuung der Portier sie der Polizei übergeben würde.
Sie lief weiter hinab. Dabei versuchte sie, so leise wie möglich zu sein. Ein Stockwerk tiefer erreichte sie die Tür zum ersten Geschoss der Tiefgarage. Vorsichtig drückte sie sie einen Spalt weit auf und lugte hinaus.
Schwere, dunkle, sehr teuer aussehende Wagen waren hier geparkt. Obwohl sich Anna sicher war, dass diese Ebene mit Überwachungskameras ausgestattet war, gab es für sie keine andere Möglichkeit. Sie duckte sich und kroch hinter den Wagen, der am nächsten stand.
Jemand tippte ihr von hinten auf die Schulter. Zu Tode erschrocken drehte sie sich um.
Der hagere, bleiche Mann war wie aus dem Nichts aufgetaucht, denn Anna hatte weder Schritte noch sonstige Geräusche gehört. Er trug einen dunklen Anzug, dessen Stehkragen sie an den Schnitt asiatischer Jacken erinnerte. Seine Schildmütze verrutschte keinen Millimeter, als er sich zu ihr herabbeugte und ihr seine Hand entgegenstreckte, um ihr aufzuhelfen.
»Wenn Sie bitte im Fond Platz nehmen würden?«
Sprachlos richtete sie sich auf. Der Mann war ein Riese, er musste fast zwei Meter groß sein. Dennoch waren seine Bewegungen alles andere als schwerfällig. Geschickt öffnete er die hintere Tür der Limousine, trat dann wie ein Balletttänzer einen Schritt zur Seite und blieb abwartend stehen. Als er bemerkte, dass
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