Dämonenherz
so tief, dass du den Aufschlag nicht mehr merken würdest.
Aber ich würde dich auffangen.
Was war das denn? Auffangen? Wie kam er denn auf so eine Idee? Er hatte noch nie in seinem Leben jemanden aufgefangen. Und Anna gehörte zweifellos zu den Menschen, die selbst am Abgrund noch die helfende Hand ihres Retters ausschlagen würden,wenn dieser Mann nicht hundertprozentig zu denen gehörte, von denen sie sich auch retten lassen würden.
Unwillkürlich musste er lächeln. Es lag noch eine Menge Arbeit vor ihm. Aber sie würde ihm Spaß machen. Es war hundert Jahre her, dass er seine letzte Amazone ausgebildet hatte. Die Fehler, die er damals gemacht hatte, würde er nicht noch einmal wiederholen. Er hatte aus ihnen gelernt. Mit Anna hatte er eine Frau ausgesucht, die den Verführungen von Reichtum, Macht und Schönheit nicht so einfach erliegen würde. Ihre Achillesferse war die Liebe.
Der Schmerz schoss so gewaltig in seine Brust, dass er nach Luft schnappen musste. Verdammt. Die Liebe war ein Spielstein, den man einsetzte, wenn man gewinnen wollte. Es war immer die Liebe der anderen, mit der man spielte. Nie die eigene, denn die gab es schon lange nicht mehr.
Warum schmerzte es dann so in seiner Brust? Vielleicht doch etwas mit dem Herzen? Weller beschloss, in den nächsten Tagen einen Kardiologen aufzusuchen. Ein befreundeter máster in London führte eine Praxis mit angegliederter Privatklinik, in der diskret und ohne Fragen behandelt wurde.
Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Seine Kräfte ließen nach. Wahrscheinlich lag es daran, dass seine Zeit bald um war. Der Vertrag musste erneuert werden. Wenn er weiterleben wollte, brauchte er Anna.
Er schenkte ihr einen letzten Blick, bevor er seine Finger erneut über das Display gleiten ließ, das in seinen Schreibtisch eingelassen war. Das freundlich-aufmerksame Gesicht von Jean-Baptiste erschien an Annas Stelle.
»Ja?«
»Wo ist sie jetzt?«
»Sie ist in den Zug Richtung Wiesbaden eingestiegen. Soll ich sie weiter beschatten?«
Weller dachte nach.
»Nein«, antwortete er schließlich. »Ab jetzt ist das Chefsache.«
8 .
F riedrich Sternberg putzte seine Brille umständlich mit dem Ende seines offenen Hemdsärmels und setzte sie sich wieder auf die ausgeprägte Nase. Dann hob er die bauchige Blümchenkanne hoch und schenkte Anna einen Becher Brennnesseltee ein. Gesammelt nicht etwa im eigenen Garten, sondern an den Schienen ein paar hundert Meter weiter, weshalb er ihn auch Bahndammtee nannte und mit einem bedauernden Gesichtsausdruck daran schnupperte.
»Die letzte Ernte«, sagte er und pustete in seine Tasse.
Anna setzte an, roch und stellte den Becher unberührt wieder auf den alten Küchentisch, an dem sie Platz genommen hatten. Es gab nicht viel Gutes, was sie an dem neuen Einkaufszentrum auf der grünen Wiese finden konnte. Aber dass sein Bau den direkten Zugang zum Bahngelände verhindern würde, hatte den großen Vorteil, dass ihr Vater dann vielleicht von selbstgepflücktem Brennnesseltee auf Mischungen umsteigen musste, die nicht ganz so gewöhnungsbedürftig sein würden.
Alt war er geworden, er und das Haus. Warum war ihr das so lange nicht aufgefallen? Das Gartentor hing schief in den Angeln, die Fenster schlossen nicht richtig, und überall sammelte sich Unnützes, Wertloses und nicht Weggeworfenes zu einem heillosen Durcheinander, das alles Brauchbare verschluckte, das nicht jeden Tag benötigt wurde. Eine Viertelstunde lang hatte Annadas Teesieb gesucht und schließlich aufgegeben. Irgendwo würde es sein. Bis dahin filterte die Kanne die gröbsten Blattstücke heraus. Und den Rest würde sie zum Düngen benutzen.
»Papa, wann hast du denn zum letzten Mal den Garten gegossen?«
Friedrich Sternberg hob den Kopf und sah durch die fast blinden Scheiben hinaus. Gras und Büsche waren verdorrt. Sogar die Dahlien sahen staubig und dürr aus, dabei entfalteten sie ihre volle Schönheit erst im Herbst und hätten jetzt vor Saft nur so strotzen müssen.
Ihr Vater hob die mageren Schultern. Wenn Anna daran dachte, wie kräftig er einmal gewesen war, schnürte ihr die Rührung fast die Kehle zu.
»Hast du das denn nicht neulich …?«
»Papa, ich war vor vier Wochen das letzte Mal hier.«
Und sie hatte sich damals viel zu schnell verabschiedet, weil der Gedanke, was alles an diesem Haus getan werden musste, sie in immer tiefere Depressionen versinken ließ. Allein der Garten würde mindestens zwei Wochen brauchen, um überhaupt wieder
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