Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
Vertrauen, das meine Mutter in mich setzt, vollauf zu rechtfertigen, Eure Hoheit«, antwortete R'shiel und äußerte damit eine noch größere Lüge als ihre Ausrede fürs Zuspätkommen.
»Reizend und artig«, befand Pieter, indem er beifällig nickte. »Gewiss tritt sie eines Tages in Eure Fußstapfen, Schwester Frohinia. Ich vermute, das Quorum wird bald dank zweier Geschlechterfolgen von Tenragan-Frauen großen Nutzen haben.«
»R'shiel geht ihren eigenen Weg, Hoheit. Mir ist nichts wichtiger als das Glück meiner Tochter.«
R'shiel sparte sich die Mühe, ihr zu widersprechen. Hinsichtlich ihrer Zukunft hatte sie so wenig mitzureden wie ein durchschnittlicher hythrischer Sklave, der wenigstens den Vorteil hatte zu wissen , dass er ein Sklave war und blieb.
»Es dürfte Euch eine beträchtliche Genugtuung sein«, meinte der Gesandte zu Jacomina, »in Eurem neuen Amt dermaßen lerneifrige Schülerinnen zu betreuen.«
Ernst nickte die neue Herrin der Erleuchtung, doch bezeugte der Blick, den sie R'shiel widmete, von lediglich geringer Begeisterung. Jacomina mochten vielerlei Worte einfallen, um R'shiel zu beschreiben, aber »lerneifrig« gehörte wahrlich nicht dazu.
Anfangs hatte R'shiel es als sonderbar empfunden, dass ihre Mutter die Erhebung Mahinas zur Ersten Schwester so gelassen aufnahm, bis sie erfuhr, wer in das durch Traylas Tod und Mahinas Ernennung verwaiste Amt der Herrin der Erleuchtung nachrückte. Jacomina war ein Geschöpf ihrer Mutter. Vermutlich kreiste durch Jacominas Kopf kein Gedanke, den nicht Frohinia ihr eingeflüstert hatte.
Für R'shiel musste Jacominas Beförderung sich
nachteilig auswirken. Als Herrin der Erleuchtung würde Jacomina gewiss selbst die geringfügigsten Vergehen R'shiels ihrer Mutter petzen, eine missliche Lage, die sich bestimmt noch verschlimmern würde, wenn sie in einigen Wochen in den Rang einer Seminaristin aufstieg.
Eine blonde Seminaristin näherte sich mit einem Tablett, auf dem zierliche Kristallpokale voll roten Weins standen, und zu R'shiels Erleichterung lenkte der tiefe Ausschnitt der Blonden die Aufmerksamkeit des Gesandten ab. Die Seminaristin bot den Wein mit höflichem Knicks an, warf R'shiel aber einen giftigen Blick zu. Ausgewählte Seminaristinnen hatten Weisung erhalten, auf Frohinias Festveranstaltung zu bedienen, aber R'shiel, bloß Novizin, war als Gast zugegen. Wenn sie in ihr Zimmer zurückkehrte, fand sie voraussichtlich die Einrichtung zerschlagen vor, oder man hatte ihre Kleidung in den Abort gestopft. Als Frohinias Tochter mochte sie zu Feiern geladen werden, aber es schützte sie nicht vor der Rache des Dormitoriums.
R'shiel trank ihren Wein und gab sich umgänglich, während Frohinia und der Gesandte die Unterhaltung fortsetzten. Nach und nach füllte sich der Saal mit den führenden Kreisen der Zitadellenbewohner. Der Gesandte beschränkte sich auf einsilbige Antworten; anscheinend hegte er viel stärkeres Interesse an den jüngeren weiblichen Anwesenden. Er stand in einem erschreckenden Ruf der Liederlichkeit, der umso schwerer wog bei jemandem aus einem Land, in dem solche Sittenstrenge herrschte, dass man Gerüchten zufolge schon lüsterne Gedanken als Sünde verurteilte.
Im Saal waren die in Blau gekleideten Schwestern in
der Überzahl im Vergleich zu den Hütern, die in den roten, mit hohen Stehkragen versehenen Waffenröcken bis zum letzten Mann wirkten, als fühlten sie sich nicht allzu wohl in der Haut. Die Krieger mochten diese steifen Feiern nicht. Georj behauptete, es verhalte sich so, weil die Schwestern ihnen bloß die Teilnahme befahlen, um aus Stolz ihre Überlegenheit zur Schau zu stellen. R'shiel erachtete es als wahrscheinlicher, dass die Hüter derlei Veranstaltungen innerlich ablehnten, weil sie den Aufwand des Herausputzens scheuten. Ein Fleck auf dem Rock oder ein Stiefel, den man nicht als Rasierspiegel verwenden konnte, und ein Mann zog den Unwillen des Obersten Reichshüters schneller auf sich, als er sich räuspern konnte.
Ein kehlig-schrilles Lachen schreckte R'shiel aus ihren Gedankengängen, und sie drehte den Kopf. Die Quelle des Misstons war Crisabelle Cortanen, Mahinas Schwiegertochter, ein molliges, derbes Weibsbild, das im Alter von sechzehn Jahren Mahinas Sohn Wilem geehelicht und es seither versäumt hatte, geistig zu reifen. Crisabelle trug ein gerüschtes gelbes Kleid, das ihre unförmigen Umrisse hervorhob, statt sie zu umspielen. Neben ihr litt still Feldhauptmann Cortanen und zeigte eine
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