Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
nicht genug Licht spendeten, um das große Wohngemach ausreichend zu beleuchten. Erst als ihre Mutter sich gesetzt hatte, hob R'shiel den gewölbten Silberdeckel vom Teller. Darauf befanden sich gebratenes Schweinefleisch und eine Auswahl herbstlicher Gemüse. Das Fleisch sah hell und zart aus und lag in einer dicken Soße. Beinahe stülpte sein Anblick R'shiel den Magen um.
»Was ist mit dir?«
R'shiel sah ihre Mutter an und fragte sich, ob sie sich über das Fleisch äußern sollte. In R'shiels Nase roch es schlecht, aber das war für sie nichts Neues. Es mochte durchaus sein, dass sie sich täuschte. Schon einige Male hatte sie Freundinnen davor gewarnt, Fleisch zu verzehren, weil sie geschworen hätte, es sei verdorben, sich deren Einschätzung nach jedoch geirrt.
»Nichts«, log R'shiel und ergriff die Gabel. »Sieht lecker aus.«
»Das will ich wohl hoffen«, entgegnete Frohinia. »Es hat Umstände genug gemacht, dieses Gericht zubereiten
zu lassen. Als hätte ich seltene fardohnjische Meeresfrüchte bestellt, so haben sich die Köchinnen aufgeregt, als ich Schwein wollte. Ich rate dir, keinen Bissen übrig zu lassen, oder die Vorwürfe, die ich mir anhören muss, werden kein Ende nehmen.«
Mühsam unterdrückte R'shiel ihren Ekel und widmete sich dem Fleisch. Das Essen verlief schweigsam. Jedes Mal musste sich R'shiel zum Schlucken zwingen. Frohinia dagegen schmeckte es allem Anschein nach. Hätte das Fleisch für ihr Empfinden den geringsten Makel gehabt, wäre es zurück in die Küche geschickt und den Köchinnen ein heftiger Tadel zuteil worden.
Zuletzt legte Frohinia die Gabel ab und musterte R'shiel über den Tisch hinweg. »Jacomina sagt, du habest in dieser Woche dreimal im Unterricht gefehlt.«
»Ich habe mich unwohl gefühlt.« Dass ihre Mutter sich im Dunstkreis der Herrin der Erleuchtung aufhielt, hatte für sie ständig Nachteile. Mahina hatte nicht einmal die Hälfte ihrer Vergehen gepetzt. »Seit einiger Zeit leide ich gelegentlich unter Kopfweh. Es bessert sich, wenn ich mir Ruhe gönne.«
»Hast du eine Heilerin aufgesucht?« Frohinia kannte mit Kranken oder Versehrten keine Nachsicht.
»Gewöhnlichen Kopfschmerz erachte ich als keinen Grund, um eine Heilerin zu behelligen.«
»Wenn die Beschwerden weiterhin auftreten, geh zu Schwester Gwenell. Du kannst es dir nicht leisten, Unterricht zu versäumen.«
»Ja, Mutter«, gab R'shiel pflichtschuldigst zur Antwort. Offenbar galt Frohinias Besorgnis ausschließlich dem Unterrichtsbesuch, nicht etwa der Möglichkeit,
dass ihre Tochter krank sein könnte. Aus Unmut schob R'shiel die Mahlzeit unbeendet von sich und brachte die Unterhaltung auf den Gegenstand, der ihre Mutter mit Gewissheit in Erbitterung versetzen musste. »Hast du eine Aussprache mit Tarja geführt, Mutter?«
»Dein Halbbruder zieht es vor, mich nicht zu besuchen, und umgekehrt beliebt mir das Gleiche. Ich bin der Ansicht, du solltest es ebenso halten.«
»Er ist doch mein Bruder.«
»Halbbruder«, berichtigte Frohinia. »Aber das ist belanglos. Tarjanian ist ein Störenfried, und es wäre für dich sinnvoller, ihm fern zu bleiben.«
»Er bringt dich in Verlegenheit, stimmt's? Eine Frau in deiner Stellung ... Nur gut, dass ich nicht aus der Reihe tanze ...« Jedenfalls selten , dachte sie, und nur ein klein wenig .
Verdruss umwölkte Frohinias Stirn. »Bilde dir nicht ein, mir drohen zu können, Mädchen. Ich muss dich wohl nicht erst darauf hinweisen, was folgt, falls ich höre, dass du dich noch einmal schlecht benommen hast.«
»Das nächste Mal, wenn ich mich schlecht benehme, sorge ich dafür, dass du es nicht erfährst, Mutter«, verhieß R'shiel mit unbewegter Miene.
Frohinia trank Wein und maß ihre Tochter mit einem unzufriedenen Blick. »Eines Tages stellst du meine Geduld zu stark auf die Probe, R'shiel. Und ich kann dir versichern, dass es unerfreuliche Auswirkungen haben wird.«
R'shiel kannte diesen Blick. Jetzt war es an der Zeit, um über etwas anderes zu plaudern.
»Warum ist der karische Gesandte da?«, fragte sie. Die Staatskunst bildete einen Gesprächsstoff, mit dem sie, wie sie wusste, Frohinia verlässlich ablenken konnte.
»Es wundert mich, dass du so etwas fragst. Er ist hier, weil wir eine neue Erste Schwester haben. Er möchte den Friedensvertrag zwischen Karien und Medalon verlängern.«
»Ach so«, sagte R'shiel. Jede Novizin im ersten Jahr hätte sich die Frage selbst beantworten können, aber nun übersah ihre Mutter bis auf
Weitere Kostenlose Bücher