Dämonenkind 01 - Kind der Magie.pdf
nochmals vor und küsste dem Dämon die Wange. Dann wandte sie sich ab und lief zum Flussboot. Endlich hatte sich in ihrem Innern ein kleiner Abgrund der Ungewissheit geschlossen.
Endlich wusste sie, wer sie war.
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WÄHREND DIE FARDOHNJISCHE BARKE ablegte und hinaus in die Strömung der Flussmitte trieb, bis die Mannschaft die Segel hisste und das Fahrzeug wendete, um flussaufwärts zu reisen, schlenderte Shananara an die Seite ihres Dämons. Gemächlich streichelte sie ihm den runzligen Schädel, während sie die Abfahrt beobachteten, und erwiderte R'shiels Winken.
»Ich habe gehört, was du ihr weisgemacht hast«, sagte sie zu Dranymir. Mittlerweile blähte der Wind die Segel, und Maeras Tochter bewegte sich langsam flussaufwärts. Von der Böschung herauf kam Brakandaran, einen Schwärm Dämonen im Gefolge, auf Shananara und den Erzdämon zu.
»So?«, meinte der Dämon und täuschte Gleichmut vor.
»Du hast sie angelogen.«
»Ich habe gesprochen, was sie zu hören ersehnte, Shananara«, entgegnete Dranymir in leicht dünkelhaftem Ton. »Das ist etwas anderes als bloßes Lügen.«
»Du ziehst sehr feine Unterschiede. Warum hast du ihr nicht die Wahrheit erzählt?«
»Im Wesentlichen war, was ich ihr erklärt habe, durchaus die Wahrheit. Die Götter hatten Lorandranek darum ersucht, das Dämonenkind zu zeugen. Insofern stimmt es, dass es sein Begehren war, ein Kind zu haben.«
»Lorandranek wollte sie beseitigen, während sie sich noch im Mutterleib befand, Meister Dranymir«, wandte Brakandaran ein, indem er bei ihnen stehen blieb.
»Was die Götter von ihm forderten, brachte ihn schließlich zum Wahnsinn«, stellte Shananara klar und legte teilnahmsvoll eine Hand auf seine Schulter. »Lass ab von deiner ständigen Selbstbestrafung, Brakandaran.«
»Dennoch war er mein König. Selbst ein irrsinniger König verdient Besseres.«
»Lorandranek war ein großer König«, betonte Dranymir mit einer gewissen Hartnäckigkeit.
»Sicher war er das«, räumte die Prinzessin ein. »Allerdings musst du zugeben, Dranymir, dass er sich häufiger seinen Pflichten als König entzog, als er im Sanktuarium weilte, wo er seinen Amtsgeschäften hätte nachgehen sollen. Und du warst, wie ich nicht verschweigen darf, sein williger Bundesgenosse. Daran kann eine edle Tat nichts ändern. Infolge der Verrücktheit meines Onkels nahm Korandellen, ohne Inhaber des Titels zu sein, schon den Rang eines Königs ein, lange bevor er die Krone erbte.«
»Für dich mag Lorandranek unvollkommen gewesen sein, aber für R'shiel ist er der Vater, der sie geliebt hätte. Hättest du es lieber gesehen, dem Kind wäre meinerseits noch mehr Leid zugemutet worden, als es bislang schon erleben musste?«
Shananara lächelte dem Dämon zu. »Auf gar keinen Fall. Nur war mir bisher nicht geläufig, dass du ein gefühlsseliger Schwärmer bist.«
Entrüstet schnaubte der Dämon. »Ich bin nichts dergleichen. Beleidige mich weiter auf diese Weise, Prinzessin, und du kannst zu Fuß zum Sanktuarium gehen.«
Shananara lachte und wandte sich an Brakandaran. »Und du, Brakandaran? Zieht es dich endlich heim? Du hast das Dämonenkind gefunden. Deine Aufgabe ist erfüllt.«
Er schüttelte den Kopf. »Meine Aufgabe ist noch lange nicht erfüllt, Shananara. Ich habe den Dämonenspross ausfindig gemacht, das ist richtig, aber vielleicht hast auch du inzwischen bemerkt, dass sie zur Stunde, während wir hier Reden führen, flussaufwärts ernster Gefahr entgegensegelt.«
»Allem Anschein nach ist Tarjanian Tenragan sehr wohl dazu fähig, sie ausreichend zu beschützen.«
»Dafür hat Kalianah gesorgt.«
»O weh! Was hat sie getan?«
»Sich eingemischt, so wie man es von ihr kennt. Die Liebesgöttin war der Auffassung, R'shiel wäre beeinflussbarer, wenn jemand sie liebt.«
»Und sie hat für sie einen Menschen ausgewählt? Wie grausam.«
»Mag sein. Allerdings durchschaut er die Lage vermutlich besser als R'shiel.«
Ein Seufzer entfuhr Shananara. »Sie ist noch sehr jung und hat die Umstände noch nicht gänzlich erfasst. Beizeiten dürfte sie diese verstehen. Auf alle Fälle wird Tarjanian Tenragan ihren Schutz gewährleisten.«
Brakandaran musterte die Prinzessin. »Du bist zu lang im Sanktuarium geblieben, Shananara. Auf dem weiten Erdenrund geht es recht hässlich zu. Tarjanian hegt, was Ehre anbelangt, recht menschliche Vorstellungen. Er hat vor, sich mit einem Haufen Bauernburschen gegen das gesamte Hüter-Heer zu stellen. R'shiel ist in viel
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