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Daemonenmal

Daemonenmal

Titel: Daemonenmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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würde, würde ich dann einfach verschwinden?
    Ich hatte nichts mehr zu verlieren, jetzt ging es nur noch darum, so viele wie möglich von ihnen mitzunehmen, bevor sie mich schließlich zur Strecke bringen würden. Mit weit aufgerissenen Augen wandte ich mich um, geblendet von den Scheinwerfern hob ich die Waffe – und warme Finger legten sich um mein Handgelenk.
    Nein, hatte der große Mann mit den weißen Haaren gesagt, und durch seine Worte klang eine fremde Sprache, das Lied eines fremden Akzents. Nicht heute Nacht, Kleines.
    Links. Rechts. Tritt. Bearbeite den Sandsack mit beiden Fäusten. Schnell wie der Wind, und die Anstrengung leise durch zusammengebissene Zähne hindurchpressen.
    Ich wehrte mich, aber er war zu stark, und ich drückte den Abzug erst, ah das Auto schon weiterfuhr. Das Donnern der 22.er ging im Hupen und Gejohle der Insassen unter. Er schenkte dem Wagen keine Beachtung und wand mir die Waffe aus der Hand. Ich schlug nach ihm. Er schien sich keinen Zentimeter zu rühren, aber der Schlag ging ins Leere, und ich verlor das Gleichgewicht, fiel zur Seite. Mein Arm war ausgestreckt, in meiner verletzten Schulter tobte der Schmerz. Als er losließ, landete ich im Schnee. Meine Haut brannte, und ich hustete einen Strom von hellem Blut.
    Das Letzte, woran ich mich dann noch erinnern kann, waren behutsame Finger in meinem zerzausten, strohblond gebleichten Haar. Ich hätte ihn verfluchen mögen, krümmte die Finger und versuchte, ihm die Haut zu zerkratzen. Doch meine gesplitterten Nägel trafen nur leere Luft. Als ich versuchte zu schreien, verschluckte ich mich an meinem eigenen Blut.
    Er hatte mich eine Zeit lang beobachtet, mich abgeschätzt.
    Meine Faust donnerte gegen den Sack. Ich hielt inne. Bebend und schnaufend rang ich nach Atem. Wie hatte er nur irgendetwas Wertvolles in diesem gebrochenen Mädchen im Schnee sehen können? Die Kanone war verschwunden. Danach hat er den Vorfall nie wieder erwähnt.
    Hatte er erraten, wie verzweifelt ich gewesen war und was ich mit der gottverdammten Waffe getan hatte, bevor ich ihm in die Arme gelaufen war? War es ihm wichtig? Monty brachte mein Vorstrafenregister nie zur Sprache. Andererseits hatte ich damals auch noch einen anderen Namen gehabt. Ich selbst war eine völlig andere gewesen, durch und durch anders. Manchmal frage ich mich, ob sich vielleicht sogar meine Fingerabdrücke verändert hatten.
    Ich verpasste dem Sandsack einen letzten kräftigen Stoß und hörte zu, wie er an seiner Kette hin und her schwang. Das vertraute Knarzen hallte im ganzen Lagerhaus wider. Meine Atmung beruhigte sich, und mein Blick wanderte über die Wände, über einen langen, schmalen Abdruck unter bernsteinfarbener Seide, die Armbrust und den Jagdbogen, den Morgenstern und den Holzstock mit seinen rostigen und verhedderten Quasten. An seiner Spitze klebten schwarze Rückstände.
    Und Michails Schwert. Entlang des geschwungenen Knaufs war noch immer ein leichtes Glühen zu sehen, das Loch im Griff schien mich zu beobachten.
    Wie zur Antwort wurde der geschliffene Rubin in der kleinen Mulde an meiner Kehle warm. Ein Lufthauch berührte meine Haut, und als es mir zum zweiten Mal bewusst wurde, fing die Narbe an zu zucken. Nachdem ich sie nun schon eine Weile nicht mehr abgedeckt hatte, erschien mir die übernatürliche Genauigkeit meiner Sinne inzwischen fast normal. Ich würde früher als üblich im Monde Nuit vorbeischauen. Einerseits, um mich umzuhören, was für eine Art von Dämon Cops abschlachtete, andererseits, um meiner Abscheu für Perry Ausdruck zu verleihen. Er sollte mich nicht anrufen.
    Das war nicht abgemacht.
    Nicht heute Nacht, Kleines. Damals war mir die Stimme meines Lehrmeisters noch fremd. Mir war nicht klar, dass es die Stimme meines Retters war.
    Als hätte ich es verdient, gerettet zu werden – aus dem Schnee gepflückt zu werden und ein neues Leben geschenkt zu bekommen.
    Lieber nicht darüber nachdenken. „Michail“, flüsterte ich. Die leisen Worte hallten von den Wänden, verspotteten mich. Er war tot, erstickt an seinem eigenen Blut, verraten von einer Viper in Frauengestalt. Und ich war noch immer hier. Hatte ihn nicht retten können.
    Das ganze Training, die ganze Mühe, all die Schmerzen -und trotzdem hatte ich ihn nicht beschützen können.
    Der Sack pendelte aus, seine Kette machte dieses ruhige Geräusch von gespanntem Metall. Gerne hätte ich ihn noch einmal getreten, um das vertraute Ächzen zu hören, aber ich ließ es bleiben.

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