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Daemonenmal

Daemonenmal

Titel: Daemonenmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilith Saintcrow
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und sich überwand, jemanden ohne jede Rücksicht zu verletzen. Sonst sind auch die allerschnellsten Reflexe nutzlos.
    Michail.
    Hoch mit dir. Meine Klingen durchschnitten die Luft, pfiffen, wirbelten um meine Finger, Schläge mit den Ellbogen, Tritte mit dem Knie ins Gesicht. Aufstehen, Milaya. Oder ich werde dich noch einmal schlagen. Hoch mit dir!
    Aus der Vergangenheit, Jahre und Meilen weit weg, hallten mir meine eigenen hilflosen Schluchzer in den Ohren. Heute bewegte sich mein Körper mit bestechender Leichtigkeit, anmutig. Strenge Abläufe wie von einem Tanz hatten sich meinen Muskeln eingeprägt, waren zu bloßem Instinkt geworden. Das war nicht immer so gewesen. Als er mich gefunden hatte, war ich ungelenk und hilflos gewesen, ein Teenager, der mehr daran gewöhnt war, die Straßen auf und ab zu laufen, als Tritte auszuteilen. Das erste Jahr meiner Ausbildung war in vielerlei Hinsicht die reinste Hölle gewesen.
    Schritt, Tritt, Drehung, hoch das Knie, Aufwärtsschlitzen, das Genick mit einem schnellen Knick brechen, aufstampfen und umdrehen. Die Klingen glänzten im Zwielicht, als sich die letzten Sonnenstrahlen durch das Dachfenster stahlen. Metall sirrte, während ich beide Messer herumwirbelte, dann das feste und beruhigende Tschuck, wenn sie auf den zerschnittenen Holzblock prallten, der am anderen Ende des Übungsraums stand. „Gar nicht mal schlecht“, flüsterte ich. Dann nahm ich mir den Sandsack vor.
    Ich fing ganz langsam an, links, rechts, dann links, rechts, links – allmählich kam ich in einen Rhythmus. Ich muss dabei vorsichtig sein – wenn man einen Faustschlag mit der Wucht einer Höllenbrut hat, muss man sich ein bisschen zurückhalten, auch wenn man einen extra verstärkten Sandsack hat. Ellbogen, Knie, abwechselnd in schnellem Rhythmus, und nach jedem Hieb ausatmen.
    Wieder rann mir der Schweiß von der Stirn und brannte in meinen Augen. Nicht wegen der Anstrengung, sondern weil ich wieder geträumt hatte. Die Erinnerung stieg in mir hoch, überflutete und begrub mich unter sich.
    Schnee. Bibbern. Kälte nagt an Fingern und Zehen, den entblößten Knien, die wund waren und schmerzten. In meiner Kehle der Geschmack nach Eisen und klebrigen Tränen. Pochender Schmerz, dort, wo er mich geschlagen hatte – ein gefräßiges Brandmal. Und schwer ruhte die Waffe in meiner Hand.
    Ich hatte es getan. Ich hatte getötet, und ich hatte Vals Kanone gestohlen. Trotzdem, was mir am meisten Sorgen machte, war das Geld. Der Gedanke daran, dass er mich schneiden, mir wehtun, mich womöglich entstellen würde, wenn er mich jetzt fand, quälte mich nach wie vor. Dass ich den Hurensohn erschossen hatte, änderte daran gar nichts.
    In meinem Kopf hörte ich noch immer die Uhr ticken. Tick tack, tick tack.
    Ein weißer Oldsmobile fuhr gemächlich an mir vorbei, seine Fenster waren trotz der schneidenden Kälte heruntergelassen, und eine Bierflasche zerschellte auf dem Gehsteig. Sie grölten und johlten. Meine trockenen Augen blinzelten kaum. Die Pistole war auf meiner rechten Seite, verdeckt hinter meinem dünnen Baumwollkleidchen.
    Ich hatte bereits getötet. Ich hatte die größte aller Sünden schon begangen, die meinen übrigen Sünden nur noch die Krone aufsetzte.
    Wenn das Auto langsamer würde, wenn sie anhalten würden, wäre es ihr letztes Mal. Das letzte Mal.
    Aufgeplatzte Lippen. Meine Lippe war aufgeplatzt und meine Scheißschulter beinahe ausgekugelt, außerdem hatte meine Milz einiges abbekommen – und das waren nur die leichtesten Verletzungen gewesen. Später hat mir Michail erzählt, dass es ein Wunder war, dass ich überhaupt laufen konnte. Er konnte mein Blut und meinen Schmerz selbst von der anderen Straßenseite aus riechen.
    Linker Haken – nutze die Schwingung des Sandsacks. Setze mit dem Ellbogen nach. Hoch mit dem Knie. Tief angreifen. Die Wucht eines Schlages muss aus der Hüfte kommen wie beim Peitschenschwingen, sonst ist er nutzlos.
    Nutzlos. So, wie ich es gewesen bin.
    Das Motorgeräusch des Oldsmobile kam zurück, wurde lauter. Ich blieb mit hängendem Kopfstehen, meine Finger verstärkten ihren Griff um das kalte Metall. Allesamt Männer. Die Art von Männern, denen ich schon so oft so nahe gewesen bin. Habe geschluckt, wenn ich musste, geschluckt, wenn ich konnte, hatte zugelassen, dass mein Körper Dinge tat, während mein wahres Ich sich in eine kleine Kiste zurückzog – eine Kiste, die von Mal zu Mal kleiner und enger wurde.
    Wenn sie schließlich zu klein

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