Daemonenmal
sich inzwischen tatsächlich nicht mehr komisch, sondern normal an. Ich hielt ihm den Griff entgegen, beobachtete, wartete.
Er nahm ihn, und die Klinge verschwand in ihrer Scheide. Dann reckte er sich und hielt mir die Hand hin. Unter seinem roten T-Shirt sah man deutlich seine Muskeln.
„Bist du taub? Komm schon, dein Lehrmeister hat Hunger. Ist harte Arbeit, kleine Schlangen zu trainieren.“
Meine Finger schlossen sich um seine, und Michail zog mich auf die Füße. Dann klopfte er mir auf die Schulter, was mich um ein Haar wieder zu Boden befördert hätte. Meine Beine waren so schwach wie die eines neugeborenen Fohlens.
„Geh und wasch dich. Wir gehen aus.“ Die Liebenswürdigkeit in seinen Worten erschien mir fast ebenso fremd wie sein Akzent. „Gute Arbeit, kleine Schlange. Ich denke, es lohnt sich, dich zu behalten.“
Das war das erste Mal, dass irgendjemand dieser Meinung war, und mein Herz schwoll auf seine vierfache Größe an. Ich schaffte es ungefähr drei Schritte weit, bevor ich vor Erschöpfung das Bewusstsein verlor.
Geschlagene zwei Tage verbrachte ich im Bett und erholte mich. Und als ich wieder auf den Beinen war, fing das richtige Training an.
7
Die Nacht zog auf und hüllte die Gassen und Bars vom Osten her in ihren Mantel ein. Ganz egal, wie müde ich bin, die Dämmerung macht mich jedes Mal so munter wie drei doppelte Espressi und eine vorbeizischende Kugel. Ist so eine Jäger-Sache, schätze ich. Wenn wir nicht eh schon Nachteulen sind, dann machen uns das Training und die Jagd dazu, und zwar innerhalb kürzester Zeit.
Langsam tauchte ich aus der samtigen Leere zwischen den Träumen auf. Alles war wie immer, das Lagerhaus knarrte und seufzte, als der Wind vom Fluss her wehte, wie er es jedes Mal bei Sonnenuntergang tut. Es roch nach von Chemikalien verseuchtem Wasser und Hitze. Träge öffneten sich meine Augen und fanden einen altbekannten Fleck weißer Wand vor. Einer der Schwertknäufe pikte mir hart in die Rippen. Ich blinzelte.
Dann rollte ich aus dem Bett, kam auf Zehenspitzen und Händen zum Liegen und fing mit den Liegestützen an. Wie immer nach dem Aufstehen. Gegen den Holzboden gepresst, die nackten Zehen kalt, die Schultern am Brennen. Hoch. Hoch. Hoch.
Wie Holzbrett. Schön gerade. Wieder Michails Stimme, schon so vertraut, dass ich es kaum bemerkte.
Als ich mit dem zweiten Durchgang fertig war, war es Zeit für die Situps. Dann streckte und kratzte ich mich und tappte gähnend nach draußen in den Übungsraum. Michails Schwert erstrahlte in einem letzten flüchtigen Sonnenstrahl, als sterbendes Licht durch eins der Oberlichter fiel und über das Loch im Griff streifte. So schnell, wie es gekommen war, verlosch das Leuchten wieder. Ich hängte den Gurt, an dem meine Messer und Pistolen hingen, an seinen Haken. Die silbernen Talismane in meinem Haar bewegten sich, während ich noch einmal gähnte, mich breitbeinig hinstellte und auf meinen Mittelpunkt konzentrierte.
Die Kampfkunst eines Jägers ist der reinste Mischmasch. Denk dir irgendeine Kampfsportart, und mit Sicherheit haben wir ein oder zwei ihrer Bewegungen geklaut. Savate, Kung Fu, viel Judo – wir ringen ziemlich viel am Boden –, Karate, Eskrima, die guten, alten Fausthiebe – die man zum Großteil schlicht und ergreifend aus gesundem Menschenverstand anwendet und die dir das Ausweichen abgewöhnen –, T’ai-Chi … ehrlich, die Liste ist endlos und als Jäger schnappt man immer wieder Neues auf. Es gibt sogar einen Kampfstil, den Werwesen ihren Jungen beibringen. Er baut hauptsächlich auf Schnelligkeit und Ausweichmanövern auf, ist ein bisschen wie ein Tanz. Michail dachte, auch der könne mir nicht schaden. Und nicht wenige Jäger nehmen Ballettunterricht, um ihre Gelenkigkeit und Balance zu verbessern. Jeder Jäger eignet sich eine Reihe von Lieblingszügen an, mit denen er gut zurechtkommt. Aber man muss immer in Übung bleiben – auch in den Dingen, die man selbst nicht so gerne mag.
Schließlich weiß man nie, was einem mal den Arsch retten wird.
Nach einer halben Stunde Kata griff ich mir zwei Messer aus dem Regal an der Wand und machte mich so richtig an die Arbeit. Messerkämpfe sind direkt und dreckig, und hier liegt meine Stärke. Ich bin kleiner als der Durchschnittsjäger, und schon bevor ich das Mal auf meinem Handgelenk hatte, waren meine Reflexe besser als die der meisten.
Das ist bei fast allen Frauen so.
Allerdings musste ich erst von Michail lernen, wie man fies war
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