Dämonentor
Mhari gehört.
Am Sonntag vor unserer Abreise muss ich zu Hause
bleiben, um zu packen. Unentschlossen stehe ich vor einem Haufen T-Shirts und
einer elektrischen Zahnbürste, als es an meiner Zimmertür klopft. »Bob?«
Ich öffne. »Hallo, Mo.«
Sie tritt zögerlich ein und mustert argwöhnisch mein
Zimmer, das bei vielen Leute diese Wirkung hervorzurufen scheint. Es liegt wohl
weniger an dem Junggesellenstil meiner Behausung, wo sämtliche Klamotten auf
jeder nur freien Oberfläche verteilt sind, sondern mehr an den unzähligen Büchern,
dem menschengroßen Plastikskelett, das an einer Wand hängt, und meinem
Schreibtisch aus Legosteinen.
»Sind Sie schon am Packen?«, fragt sie fröhlich und
lächelt mich an. Sie hat sich zum Ausgehen fein gemacht. Wahrscheinlich hat sie
ein Rendezvous mit irgendeinem Glückspilz, während ich darüber nachgrübele,
wann ich dieses T-Shirt das letzte Mal gewaschen habe, und mich schon auf den
Höhepunkt des Abends freue: Toast und eine Dose Bohnen in Tomatensoße. Doch da
entdeckt Mo etwas in meinem Bücherregal. »Ist das Knuth?« Sie zieht ein Buch
heraus. »Was? Der vierte Band? Aber er hat in dieser Serie doch nur drei
Bände geschrieben. Auf Band vier wartet man schon seit über zwanzig Jahren!«
»So ist es«, entgegne ich selbstzufrieden. Wer auch
immer heute Abend mit ihr ausgehen darf, so etwas wird er garantiert nicht
vorweisen können. »Die Wäscherei, beziehungsweise die Schwarze Kammer, hat eine
Abmachung mit Knuth. Er veröffentlicht Band vier der Kunst der Computerprogrammierung nicht und wird dafür in Ruhe gelassen. Zumindest steht dieses Buch der
Öffentlichkeit nicht zur Verfügung. Der Band hat keine große Auflage, er ist
nummeriert und klassifiziert.«
»Das ist ja …« Sie runzelt die Stirn. »Darf ich es mir
ausleihen? Um es zu lesen?«
»Da Sie jetzt dazugehören, sehe ich keinen Grund,
warum nicht. Aber bitte lassen Sie es nicht im Bus liegen.«
Sie nimmt das Buch, schiebt eine schmutzige Jeans aus
dem Weg und setzt sich auf mein Bett. In diesem Outfit erinnert Mo ein wenig an
eine Mischung aus einem Designer-Hippie und einem Grufti: schwarzer Samtrock,
silberne Armreifen, cooles Top. Nicht ganz wie aus einem Präraffaeliten-Gemälde,
aber fast.
»Ich wollte eigentlich nur sehen, ob Sie schon gepackt
haben.« Sie schließt das Buch und legt es in Griffweite neben sich. »Ich habe
Sie in den letzten Tagen kaum zu Gesicht bekommen, Bob. Gab es so viel zu tun?«
»Viel mehr, als Sie sich vorstellen können«, erwidere
ich. Wie zum Beispiel Scanner einrichten, die sämtliche Reuter RSS-Feeds und
Wäscherei-News durchforsten und mich benachrichtigen, falls sich etwas
Interessantes tut, während ich nicht da bin. Alles nur, um mein schlechtes
Gewissen zu beruhigen … »Und Sie?«
Mo zieht eine Grimasse. »In den Katakomben gibt es
einfach unglaublich viele Informationen. Ich mache die ganze Zeit nichts
anderes als lesen und weiß kaum, wie ich das Ganze verdauen soll. Es ist
wirklich eine wahre Verschwendung, all das so unzugänglich unter Verschluss des
staatlichen Sicherheitsdienstes zu halten.«
»Prinzipiell haben Sie natürlich recht. Aber praktisch
gesehen … Alles, was hinter Schloss und Riegel ist, befindet sich aus gutem
Grund dort. Die Vielwinkligen leben auf dem Grund der Mandelbrot-Menge; wenn
man zu lange damit herumspielt, können grauenhafte Dinge passieren.« Ich zucke
die Achseln. »Und Sie wissen, wie Studenten sein können.«
»Stimmt.« Sie steht auf und streicht sich den Rock
glatt. »Ich nehme an, dass Sie mehr Erfahrung auf diesem Gebiet haben als ich.«
Sie hält inne und lächelt. »Ich hatte mir gedacht … Haben Sie schon gegessen?«
Ach so! Auf einmal geht mir ein Licht auf. Wie kann
man nur so dämlich sein? »Wie wäre es in einer halben Stunde?«, frage ich. Wo
war noch mal dieses Hemd? »Haben Sie schon eine Vorstellung, wohin?«
»Um die Ecke gibt es ein kleines Lokal, das ich schon
länger ausprobieren wollte. Also etwa in einer halben Stunde?«
»Gut, treffen wir uns unten«, sage ich entschlossen.
»In einer halben Stunde!« Sie verlässt mein Zimmer, und ich verbringe eine
halbe Minute damit, ihr ungläubig hinterherzustarren. Erst allmählich komme ich
wieder zu mir und beginne hektisch nach etwas zu suchen, das einigermaßen
sauber ist. Die Erkenntnis, dass Mo anscheinend gerne mit mir zusammen ist,
wirkt wie ein Wunder gegen meine Niedergeschlagenheit. Besser als alle
Antidepressiva der Welt!
Das
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