Dämonisches Tattoo
schlitterte über die Kante. Chase griff danach, doch der Schlüssel fiel, bevor er ihn zu fassen bekam, und schlug mit einem gedämpften Klimpern am Boden des Aufzugsschachts auf.
Einen Fluch unterdrückend setzte er sich auf das Kabinendach und zog das Handy heraus. Auf dem Display leuchteten immerhin zwei von fünf Balken auf, die die Stärke des Empfangs anzeigten. Das musste genügen. Er wählte Munarez’ Nummer aus dem Adressverzeichnis und hielt sich das Handy ans Ohr. Zunächst hörte er nichts, dann klickte es in der Leitung und das Freizeichen erklang. Nach dem sechsten Klingeln schallte ihm ein derbes
»Sí?«
entgegen.
»Munarez, hier ist Agent Ryan.« Er sprach leise und hoffte, dass die Verbindung gut genug war, dass die Polizistin ihn trotzdem verstand. »Ich bin in Richmond.« Er gab ihr die Adresse durch. »Schicken Sie sofort ein paar Einheiten her.«
Er hörte das Klappern einer Tastatur. »Das ist Cassells Adresse.«
»Verdammt, das weiß ich selbst!«, schnappte Chase. »Für Erklärungen habe ich jetzt keine Zeit. Ich brauche dringend Verstärkung! Fahndung nach Frank Cassell. Er ist bewaffnet und gefährlich.«
»Was hat er getan?«
»Was ist los mit Ihnen?« Abgesehen davon, dass er bisher keinen einzigen Fluch zu hören bekommen hatte, war es sonst so gar nicht ihre Art, Fragen zu stellen, wenn schnelles Handeln gefragt war. Es schien fast, als wolle sie ihn hinhalten. Frank hatte sich in der Tat auf diesen Abend vorbereitet. »Was hat er Ihnen erzählt?«
»Carajo!«
Plötzlich klang ihre Stimme wieder vertraut, als könne sie wieder sie selbst sein und müsse sich nicht länger verstellen. »Ich weiß nicht, warum Sie das getan haben, aber wenn Sie sich stellen …«
»Warum ich
was
getan habe?«
»Hören Sie auf, mir etwas vorzuspielen«, fuhr sie ihn an. »Cassell hat gesehen, wie Sie die Blutprobe aus der Asservatenkammer gestohlen haben. Heute Abend hat er Sie deswegen zur Rede gestellt. Himmelarsch, Sie haben versucht ihn umzubringen, um das zu vertuschen – einen Bundesagenten! Dafür bekommen Sie lebenslänglich! Also hören Sie auf mit Ihrem kleinen Schauspiel und stellen Sie sich!« Ehe Chase etwas erwidern konnte, fuhr sie fort: »In welcher Verbindung stehen Sie zu diesem Killer, Ryan? Warum die Blutprobe? Wollten Sie Beweise vernichten, um ihn zu schützen?«
»Sie wissen, dass das absurd ist. Verdammt, Anita, Sie kennen mich!« Frank musste sie angerufen haben, nachdem ihn das Betäubungsmittel ausgeschaltet hatte. Wenn die Polizei hier eintraf, würden sie neben der verwüsteten Wohnung auch die Behältnisse mit den DNA- und den Blutspuren des Killers finden. Kein Mensch würde ihm glauben, dass Frank dafür gesorgt hatte, dass sich seine Fingerabdrükke darauf befanden. Chase wusste, dass es ihm nicht gelingen würde, Detective Munarez am Telefon davon zu überzeugen, dass Frank ihn hereingelegt hatte. Zu ihr aufs Revier konnte er jedoch nicht fahren, denn sobald er sich irgendwo zeigte, würde Frank ihn umbringen.
Würde er wirklich in aller Öffentlichkeit einen Mord begehen?
Die Antwort war Ja. Für Frank zählte nur noch, dass der Mörder seiner Frau gerichtet wurde. Und er war fest davon überzeugt, dass er das durch Chase’ Tod erreichen konnte. Er würde alles daransetzen, Chase zu erwischen, ohne sich um die Konsequenzen zu scheren.
»Vielen Dank für Ihr Vertrauen.« Er beendete die Verbindung. Damit sie ihn nicht orten konnten, schaltete er das Handy aus, bevor er es wieder in die Hosentasche schob. Vorsichtig öffnete er die Luke und spähte in die darunter liegende Kabine. Sie war noch immer verlassen und auch davor konnte er niemanden erkennen. Mit ein wenig Glück durchkämmte Frank noch immer die einzelnen Stockwerke nach ihm. So oder so, er musste hier weg, denn bald würde nicht nur Frank das Haus nach ihm absuchen, sondern auch ein Rudel Polizisten.
Vorsichtig glitt er vom Dach in die Kabine zurück und schloss die Luke hinter sich. Der Eingangsbereich war leer. Chase schob sich an die Aufzugtür heran und spähte um die Ecke zum Treppenhaus. Niemand zu sehen. Er verließ den Fahrstuhl und durchquerte den Hausflur, als er Schritte auf den Holzstufen hörte. Schnelle Schritte. Er warf einen Blick über die Schulter zurück und sah Frank, der die Stufen herunterhastete, immer auf der Suche nach einer freien Schusslinie. Chase rannte los. Er sprintete an der Wand entlang auf die Tür zu, riss sie auf und stürmte nach draußen. Da er seinen
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