Dämonisches Tattoo
unterhalten wollte. Den Blick stur auf die Straße gerichtet fuhr sie weiter. Im einfallenden Licht der Straßenlaternen wirkte sie noch bleicher als zuvor. Etwas an ihr war anders als sonst, auch wenn er nicht hätte sagen können, was genau. Sie hatte Angst, doch das war es nicht allein. Eigentlich sollte es ihn nicht interessieren. Dass er trotzdem darüber nachdachte, schob er seinem schlechten Gewissen zu, das er angesichts der Tatsache empfand, dass er sie in Todesangst versetzt hatte und – angesichts der Waffe in seiner Hand – noch immer versetzte. Dass sie trotz allem den Mut fand, mit ihm zu sprechen und ihm Fragen zu stellen, war fast schon bewundernswert. Andererseits war sie Journalistin. Fragen zu stellen, gehörte zu ihrem Job. Vermutlich war das nichts weiter als eine Übersprunghandlung, genau wie vorhin auf dem Parkdeck, als sie sich über die Reparaturkosten und ihr zerstörtes Handy ausgelassen hatte. Wäre sie nicht Lombardi, die lästige Reporterin, hätte ihr Ausbruch beinahe etwas Niedliches an sich gehabt.
Er lehnte sich erneut im Sitz zurück, seine Lider wurden schwer und fielen zu. Als der Wagen langsamer wurde und die Handschellen leise klirrten, riss er die Augen wieder auf. Lombardi hatte die freie Hand nach seiner Waffe ausgestreckt.
»Machen Sie keinen Blödsinn!«
Sie fuhr erschrocken zurück, richtete den Blick wieder auf die Straße und beschleunigte auf die erlaubten dreißig Meilen pro Stunde.
»Ich würde mich wirklich wohler fühlen, wenn ich wüsste, was mich erwartet.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Oder was hier überhaupt los ist.«
»Kann man Sie nicht einmal mit einer Waffe dazu bringen, keine Fragen zu stellen?«
Sie verzog das Gesicht. »Vielleicht, wenn Sie ein Fremder wären, aber Sie sind Special Agent Ryan, der Paragrafenreiter, der mit seinen Vorschriften verheiratet ist. Ich könnte mir vorstellen, dass darin etwas steht wie: ›Das Erschießen entführter Frauen ist strengstens untersagt‹.«
Ihre Worte waren leicht dahingesagt. Wenn er sie dabei nicht angesehen hätte, wäre ihm das Beben in ihrer Stimme kaum aufgefallen. Es war ihre Körperhaltung, die den wahren Grad ihrer Angst verriet. Die Hände fest um das Lenkrad geklammert, die Haltung gezwungen aufrecht, Schultern hochgezogen und den Blick nie lange auf einen Punkt gerichtet – entspannt und furchtlos sah anders aus.
»Fahren Sie einfach, wie ich es Ihnen sage, und Sie sind mich bald los. Verstanden?«
Sie biss sich auf die Unterlippe und nickte stumm.
Geschickt war sie, das musste er ihr lassen. Sie erinnerte ihn daran, dass es Regeln gab, und versuchte gleichzeitig, eine Verbindung zu ihm aufzubauen. Sichtlich hatte sie gehört, dass die Wahrscheinlichkeit stieg, mit dem Leben davonzukommen, je näher ein Verbrecher mit seinem Opfer in Kontakt kam. Nur in der Umsetzung haperte es. Um eine Täter-Opfer-Beziehung möglich zu machen, musste sie Dinge über sich selbst erzählen, ihm vor Augen führen, dass sie ein Mensch war – ein individuelles Wesen mit einem Leben, jemand, den andere schmerzlich vermissen würden, wenn er nicht mehr da wäre.
Den Täter niederzuquatschen und mit Fragen zu löchern, wird dir nicht helfen. Einen weniger beherrschten Menschen bringst du damit höchstens dazu … dazu …
Der Gedanke entglitt ihm, entwand sich ihm wie ein Aal. Chase wusste, dass er jetzt den Faden nicht verlieren durfte. Er versuchte den Gedanken festzuhalten und folgte ihm in die Dunkelheit, in der er entschwunden war. Er wollte es nicht, doch er hatte nicht länger die Kraft, dagegen anzukämpfen. Sein Kopf fiel gegen das Seitenfenster.
Dann herrschte endlich Stille.
8
»Wir sehen uns wieder«, flüsterte er dem Foto von Jane Mercer zu, das vor ihm auf dem Tisch lag. Wie alle anderen Bilder auch hatte er es mit einer billigen Digitalkamera geschossen und am PC selbst ausgedruckt. Grobkörnig und verschwommen blickte ihm ihr Gesicht entgegen, verhärmt und müde.
Nachdenklich starrte er in die weitläufige Dunkelheit seines Zuhauses, die lediglich von der kleinen Stehlampe durchbrochen wurde, die auf dem großen Tisch vor ihm stand und die daraufliegenden Papiere der Finsternis entriss. Alles andere lag in den Schatten verborgen.
Was auch immer in ihrem Garten geschehen war, jetzt war es vorbei. Der Kopfschmerz war fort, ebenso die Kälte, die mit dem Nebel in ihn gekrochen war. Ein Nebel, dessen Existenz und Eigenartigkeit er sich immer noch nicht erklären konnte. Um
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