Daisy Sisters
kuschelte sich auf dem Sofa zurecht und zog die Füße unter sich.
Es war ziemlich genau ein Jahr her, seit sie nach Borås gekommen war, und die Stadt hatte so unendlich groß gewirkt. Ein Jahr, seit sie auf zitternden Beinen zum Personalbüro von Konstsilke gegangen war und so verzweifelte Angst hatte, nicht in diese große und fremde Welt zu passen. Ein Jahr, seit sie davon geträumt hatte, ihr eigenes Leben zu leben, mit einer Anstellung bei Algots als erstem Ziel. Und jetzt war sie schwanger, schon im achten Monat. Schwer, plump und unbeholfen, und im Gesicht bekam sie oft einen Ausschlag. Im Januar sollte sie ein Kind zur Welt bringen, und da wäre sie noch nicht einmal neunzehn Jahre alt …
Sie fühlte eine große Verwunderung darüber, dass alles so gekommen war. Nichts davon hatte sie sich vorgestellt, absolut nichts …
Die Weihnachtstage und Silvester feierten sie zusammen mit Linnea und Artur. Eigentlich war geplant, dass Erik und Elna zwischen Weihnachten und Neujahr kommen sollten, aber dann lag Elna mit einer Grippe im Bett, und da sie fürchtete, Eivor anzustecken, telefonierten sie nur miteinander. Das Jahr 1961 begann, ohne dass es richtig Winter war, die Tage waren grau und nass. Jacob ging wieder zur Arbeit, und für Eivor begann die letzte Wartezeit, die sich unendlich lang hinzog. Immer öfter fand Jacob irgendeinen Grund, am Abend eine Weile zu verschwinden. Aber er war nie sehr lange weg, und er trank selten mehr als ein paar Flaschen Bier. Eivor ging zu den letzten Kontrolluntersuchungen und der Termin sollte der 22. Januar sein. Jeden Morgen, wenn sie auf den Kalender schaute, wurde das Datum unwirklicher.
27. Januar, Samstagabend. Obwohl es über der Zeit war – oder vielleicht gerade deswegen –, ist Jacob nach draußen verschwunden, Eivor hat Radio gehört (der Fernsehapparat ist vor ein paar Tagen kaputtgegangen) und ist auf dem Sofa eingeschlafen. Plötzlich wacht sie auf und merkt, dass die Wehen begonnen haben. Sie ruft nach Jacob: »Jetzt, jetzt …« Aber er antwortet nicht, er ist noch nicht nach Hause gekommen. Sie starrt auf die Tasche, die fertig gepackt im Flur steht, und ist vor Schreck wie gelähmt. Wo ist Jacob? Jetzt muss er doch zu Hause sein! Was soll sie tun? Linnea anrufen? Aber was kann die machen? Nichts … Warum kommt er nicht … Ihr Herz rast, und sie hat so schreckliche Angst. Sie ruft wieder nach Jacob, aber er ist nicht da, und auf zitternden Beinen schleppt sie sich zum Telefon, um ein Taxi zu bestellen. Die Nummer hat sie schon vor mehreren Wochen auf einen Zettel geschrieben und mit einer Heftzweckean der Wand befestigt. Eigentlich weiß sie sie auswendig, aber in diesem Moment traut sie sich selbst nicht mehr. Es ist besetzt. Es ist ja Samstag … Herrgott …
Sie wählt die Nummer noch einmal, immer noch besetzt, und sie fängt an zu zittern und ein verwirrtes Gebet zu sprechen, während sie gleichzeitig weiß, dass sie sich beruhigen muss. So schnell geht das nicht, sie ist eine Erstgebärende, und es gibt ja Nachbarn, die sie rufen kann … Jetzt kommt sie durch, aber es gibt keinen freien Wagen, nur lange Warteschlangen, und die Frau in der Zentrale sagt ihr, dass sie sich gedulden muss. Als Eivor stammelt, dass das Fruchtwasser schon abgegangen sei und dass sie ganz alleine sei, zeigt die Frau ein Herz, und Eivor hört, wie sie nach dem ersten freien Wagen ruft … Jemand im Zentrum … Freier Wagen ins Zentrum , und dann sagt sie, dass ein Auto unterwegs sei. Eivor fängt an, eine Nachricht für Jacob auf den Block neben dem Telefon zu schreiben, aber plötzlich wird sie von einer so gewaltigen Enttäuschung darüber befallen, dass er nicht da ist, dass sie den Bleistift fortwirft, ihren Mantel anzieht, den sie über dem dicken Bauch nicht zuknöpfen kann, ihre Tasche in die Hand nimmt und vorsichtig auf die Straße hinuntergeht. Der Wagen ist schon da, es ist ein älterer Fahrer, der weiß, worum es geht. Er nimmt ihre Tasche, hilft ihr beim Einsteigen und beruhigt sie, alles wird gut gehen, sie braucht nicht zu weinen … Weinen? Wann hat sie angefangen zu weinen? Aber die Tränen rinnen, und als das Auto abfährt, blickt sie ein letztes Mal über die Schulter zurück, aber Jacob ist nicht da …
Die Nacht wird lang, sie liegt da und wartet darauf, dass es richtig losgeht. Als sie in ihren Papieren sehen, dass sie verheiratet ist, obwohl sie alleine zur Entbindungsstation gekommen ist, fragen sie, ob sie jemanden benachrichtigen sollen,
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