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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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ungeplant erwürgte. Mit ausgerechnet jenem Tanga-Slip aus dem Intershop, auf den diese dumme Schnepfe so stolz gewesen war. Im Fernsehen sprach ein alter Westpolitiker mit auffallend abstehenden Ohren vor tausenden von Menschen die paar Worte, die alles verändern sollten, während der Junge in seinem Bett eine tote Frau liegen hatte, auf die er sich nicht vorbereitet hatte. Seine Wut auf Renate, auf sich selbst, auf seine Unfähigkeit, wenigstens zum Schein Sex mit einer Frau zu haben, war grenzenlos. Das Bett war der einzige Ort, an dem er nicht lügen konnte.
    Der Junge sprang auf und zog sich an, ohne zu wissen, was als Nächstes passieren sollte. Glücklicherweise war er allein im Haus, denn seine Mutter war mit ihrem Verlobten bei einem Arbeitskollegen eingeladen (der Junge hasste diesen Mann, einen Herrn Kleiber, der seiner Mutter schon nach wenigen Wochen Bekanntschaft einen Heiratsantrag gemacht hatte). Er warf einen Blick auf das zerwühlte Bett. Die Decke lag halb über Renates rechtem Bein, ihr linkes Bein, ihre Hüften, ihr Busen, ihr bläulich angelaufenes Gesicht waren unbedeckt. Sein Blick wurde angesogen von dem schwarzen Busch zwischen ihren Beinen. Warum erregte sie ihn jetzt, wo sie tot war? Diese Frage stellte er sich nicht, denn die Antwort hätte ihn nirgendwohin geführt.
    Es war so, und daran würde er nie etwas ändern können.
    Aber er war viel zu nervös, um in die Tat umsetzen zu können, was seine Fantasie ihm verlockend vorgaukelte. Er ging in die Küche und rauchte eine Zigarette, die er im Zimmer seiner Mutter fand. Er tigerte durch das Haus, unentschlossen. Schließlich sah er auf die Uhr und stellte erschrocken fest, dass es bereits halb ein Uhr nachts geworden war. Seine Mutter hatte morgen einen langen Arbeitstag, würde in spätestens einer Stunde zu Hause sein, und bis dahin musste er Renate loswerden. Er musste sie verstecken. Vielleicht begraben. Oder im See versenken. Und es musste schnell gehen, sehr schnell. Er musste sich etwas einfallen lassen, sofort.
    Er dachte an das Boot, das der Nachbarin gehörte. Es war nur mit einem Seil vertäut, das sich leicht lösen ließ. Im Sommer war er mit Renate und seinen anderen neuen Freunden nachts manchmal heimlich auf den See gerudert, und sie hatten getrunken und waren im Mondschein geschwommen. Der Junge schulterte Renates Körper, der im Tod ungelenk und schwer wie Blei war, und schwankte aus dem Haus. Der Vollmond schien kalt auf ihn herab, als er sich mit seiner Last auf den Steg der Nachbarin schleppte. Es gab ein dumpfes Geräusch, als er Renates Leiche auf die im Mondlicht irisierenden Holzbohlen fallen ließ. Ob ihn jemand gesehen hatte? Plötzlich war ihm das völlig egal. Er ging zurück zum Haus, einfach so, ohne zu schleichen oder sich im Schatten der Bäume zu ducken, und holte aus dem Schuppen einen alten, braunen Kartoffelsack, den er in Windeseile mit Steinen voll packte, bis er ihn kaum noch schleppen konnte.
    Er zerrte den Sack auf den Steg, schwitzend trotz der nächtlichen Kälte, warf einen kurzen Blick auf Renates totes verzerrtes Gesicht, zog dann den Sack über ihre Leiche und verknotete ihn mit einem Stück Paketschnur. Er fühlte keine Trauer, kein Bedauern: Eigentlich hatte er sie nie besonders gemocht. Das Zusammensein mit den anderen, ihren Freunden, hatte ihm Spaß gemacht, aber Renates Verliebtheit hatte er immer nur billigend in Kauf genommen. Im Grunde war er froh, dass es vorbei war: seine sülzigen Liebesschwüre, seine albernen Lügen von ihrer angeblichen Seelenverwandtschaft – all dieser verbale Aufwand, nur um zu bemänteln, dass er rein gar nichts empfand. Dazu kamen die Ausreden, die er erfinden musste, um sich nur ja nicht mit ihr allein in einem Zimmer wiederzufinden, in dem ein Bett oder eine Couch stand. Und nicht zuletzt ein zunehmender Widerwille, sich mit ihr zu befassen, der schon an Ekel grenzte.
    Vorbei. Endlich.
    Er rollte den Sack samt Inhalt ins Boot, das leicht schwankte, aber sein Gleichgewicht hielt. Dann machte er das Boot los und ruderte in die Mitte des Sees. Der Mond sah ihm stumm dabei zu, wie er den Sack mit Ach und Krach über den Bootsrand ins Wasser wuchtete. Zufrieden beobachtete der Junge, wie der Sack, beschwert mit Renates totem Körper und jeder Menge Steinen, von der Wasseroberfläche verschwand, die sich gleich anschließend wieder glättete, als wäre nichts passiert. Als hätte es Renate nie gegeben. Er fühlte sich leicht und frei, als er wieder

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