Damian
Du also, es gibt Verräter in unseren eigenen Reihen? Vampire, die ihre eigenen Leute an den Orden verraten?“ Das Gespräch scheint für Leylha immer uninteressanter zu werden.
„Verräter gab es und wird es immer geben.“ So kommt Damian nicht weiter, also versucht er das Thema in eine andere, für ihn persönlich interessantere Richtung zu lenken.
„Es geht ein Gerücht um, dass Rubins im Besitz einer Phiole war oder zumindest danach suchte“, nutzt er Leylhas offensichtliche Plauderlaune.
„Ja, ich habe auch davon gehört“, gibt sie nachdenklich zu. Damian nimmt ihr ihre Grübelei nicht ab, denn er weiß genau, was sich in dieser Phiole befindet oder zumindest befinden könnte und nur Leylha war jemals im Besitz dieses Gefäßes und er kann sich nicht vorstellen, dass sie dessen Inhalt so leichtsinnig aufs Spiel setzen würde.
„Macht es Dir nichts aus, wenn der Orden in den Besitz der Phiole kommt?“, fragt er sie direkt. Leylha steht auf und geht zum Fenster. Sekundenlang schaut sie in die stürmische, verregnete Nacht.
„Was wäre es Dir wert, die Phiole wieder zu bekommen?“, fragt sie leise, lauernd.
„Ist denn etwas darin enthalten, was mich neugierig machen würde?“, entgegnet er vorsichtig. Es heißt, sein Blut wäre darin, er jedoch vermutet etwas anderes, etwas, das er einlösen musste, um sich endlich von ihr abwenden zu können.
„Der Preis Deiner Freiheit ist darin.“ Also doch, so wie er vermutet hat.
„Ich denke, es wäre nett, wenn ich die Phiole und deren Inhalt wieder bekommen könnte, aber ich bin auch Jahrtausende ohne deren Inhalt klargekommen. Du kannst sie also gerne behalten“, wagt er sich mutig hervor und provoziert eine für ihn hoffentlich positive Reaktion Leylhas. Er pokert hoch und wenn er nicht aufpasst wird er alles verlieren. Langsam dreht sie sich zu ihm und erneut trifft ihr stechender Blick seine Augen.
„Oh, mein tapferer und ach so mutiger Damian. Glaubst Du wirklich ich würde darauf hereinfallen?“ Sie geht ein wenig im Arbeitszimmer umher und bleibt schließlich vor den Trümmern der Standuhr stehen um darauf hinab zu blicken.
„Du kannst die Zeit nicht anhalten, so sehr Du es auch willst“, kommentiert sie seinen Wutausbruch. „Du stirbst, Damian. Du hast das große Glück, diese Welt zu verlassen und in eine andere einzutreten. Glaubst Du wirklich, Du solltest vor die Götter der Unterwelt treten ohne Deine Seele?“ Damian wird blass und eine unvorstellbare Kälte erfasst ihn. Jetzt hat er endlich Gewissheit: ein Teil seiner Seele befindet sich in der Phiole und nicht sein Blut. Es ist der Teil seines Ichs, den er ihr überlassen musste, als er sich endlich von ihr freikaufen konnte. Das war der Preis seiner Unabhängigkeit, seiner Freiheit.
„Ist das Fehlen eines Teils meiner Seele auch der Grund, warum ich sterbe?“, fragt er leise und bemüht sich trotzdem stark zu klingen.
„Wer weiß das schon“, giftet Leylha zurück und dreht sich zu ihm. „Vampire haben kein Gewissen, es heißt, wir wären seelenlose Kreaturen, weil wir Menschen ohne Reue töten und deren Blut trinken. Also was weiß ich, ob Du deswegen stirbst. Du kannst Dich doch glücklich schätzen, wenn Du sterben kannst. Nicht vielen von uns ist es vergönnt überhaupt zu sterben.“ Leylhas Stimmte klingt kalt und verbittert.
„Aber es ist ein langes, qualvolles Sterben“, ergänzt Damian zynisch.
„Man kann nicht alles haben“, kommentiert sie sarkastisch seinen Einwand und zuckt mit den Schultern. Damian senkt den Blick, er ist plötzlich davon überzeugt, dass das Fehlen eines Teils seiner Seele der Grund dafür ist, dass er stirbt. Er hat über die letzten Jahrhunderte so viele Fähigkeiten und Sinne verloren, die ihn an das Menschliche erinnerten. Niemals hat er etwas von seinen vampirischen Fähigkeiten eingebüßt. Also ist mit dem Verlust eines Teils seiner Seele auch der Teil seiner noch immer vorhandenen Menschlichkeit verschwunden? Die Seele ist das, was einen Menschen ausmacht. Also hat er einen Teil seines Ichs, seiner Persönlichkeit verloren. Entwickelt der Mensch nicht seine Persönlichkeit aus Erlebnissen, Gefühlen, Empfindungen und Wahrnehmungen heraus? Und diese Empfindungen, sind sie nicht ein Resultat der Sinneswahrnehmungen, zu denen er seit langem nicht mehr fähig ist?
„Du grübelst zu viel, Damian“, unterbricht Leylha harsch seine Gedankengänge.
„Was müsste ich tun, um meine Seele wieder zu bekommen?“, fragt er mehr
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