Damian
Baby einer der anderen Frauen und geht in die Ecke zu der Stimme. Er hockt sich vor die alte Frau.
„Ja, Mahamen, ich bin’s.“ Knochige, faltige Hände ragen aus den Tüchern und Decken hervor und versuchen zitternd Damians Gesicht zu ertasten.
„Bei Allah, sie sind es“, stößt sie verwundert hervor und beginnt sofort zu husten. Es ist ein hässlicher Husten, rasselnd und röchelnd.
„Meine Zeit ist gekommen, Sir, ich werde bald übertreten in die Welt danach“, flüstert sie leise und wird anschließend erneut von einem heftigen Anfall geschüttelt. Damian hält die Hand der alten Frau und Rachel beobachtet diese rührende Geste. Sie weiß plötzlich, dass die alte Frau Damian kennt, besser, genau weiß, was seine wahre Natur ist. Sie sprechen noch ein paar leise Worte miteinander und schließlich entlässt Damian ihre Hand und wendet sich wieder Rachel zu. Ihre Blicke treffen sich und Rachel wird plötzlich ganz warm ums Herz. Damian wechselt noch ein paar Worte mit einer der verschleierten Frau und gibt ihr etwas Geld. Dann murmelt er, so vermutet Rachel, einige wenige Worte zum Abschied und verlässt den Raum. Er nimmt Rachels Hand und kurze Zeit später stehen sie wieder vor der Tür und gehen zur ihrer Kutsche. Als sie in dem Wagen Platz genommen hat und Damian dem Fahrer Anweisungen gegeben hat, kann Rachel ihre vielen Fragen kaum noch zurück halten.
„Wer sind diese Frauen? Und wer war die Alte?“, platzt es aus ihr heraus, als Damian sich endlich neben sie setzt.
„Wie gesagt, es ist ein Waisenhaus. Die Frauen, die sich um die Kinder kümmern, haben ähnliche Schicksale hinter sich“, erläutert Damian und seine Stimme klingt müde.
„Die Alte ist eine Dairun. Sie hat vor Henry für mich gearbeitet. Sie weiß, dass ihre Zeit gekommen ist. Dairuns leben länger als normal Sterbliche, da sie einmalig unser Blut bekommen. Mahamen ist einhundertvier Jahre alt. Dairuns ziehen sich zurück, wenn es Zeit wird und erwarten dann das Ende. Sie ging damals hierher, weil ich sie darum bat. Seit mehr als sechzig Jahren widmet sie sich den Kindern.“
Damian und Rachel schweigen, nur das Geklapper der Pferdehufe und das Poltern der Räder ist zu hören. Damian zieht Rachel zu sich heran, nimmt sie in seine starken Arme. Endlich konnte er ihr etwas von sich geben. Endlich konnte er etwas mit ihr teilen, das ihn ganz anders zeigt. Das Leben, die Gesundheit und die Ausbildung dieser Kinder liegen ihm am Herzen und nun weiß Rachel, dass er auch eine andere Seite hat. Eine fürsorgliche. Sie reden nur noch wenig miteinander und hängen beide ihren Gedanken nach. Zurück auf der Yacht ist es schon nach ein Uhr. Rachel ist müde und erschöpft. Die letzte Nacht, so voller Liebe und Leidenschaft, dann die Besichtigung des Tempels, das Spazieren durch die Stadt, das Abendessen und schließlich dieser außergewöhnliche Besuch in dem Waisenhaus haben sie erschöpft. Es ist fast zwei Uhr, als Damian und Rachel endlich im Bett liegen. Rachel ist unruhig, kann zunächst nicht einschlafen, trotzdem sie hundemüde ist. Die vielen Facetten von Damians Persönlichkeit scheinen sie manchmal zu überfordern.
„Was denkst Du?“, will Damian in die Stille hinein wissen.
„Ich denke über Dich nach“, antwortet sie leise. Sie will ihm nicht sagen, dass sie sich immer noch nicht damit abgefunden hat, dass er vermutlich nach seinem Tod in die Schattenwelt über geht. Er hat so viele gute Seiten, er hat ein Gewissen, Gefühle, er kann lieben, sich sorgen. Er beschützt die, die er liebt, er kümmert sich um Menschen, die ihm am Herzen liegen. Er ist nicht das Monster, für das er sich selbst hält. Wenn es irgendwann einmal dazu kommt, alle seine Taten auf die Waagschale zu legen, das gelebte Leben zu resümieren, wohin wird die Waage bei ihm ausschlagen? Wer entscheidet über Himmel oder Hölle? Damian küsst ihre Stirn.
„Denk nicht zu viel über mich nach. Freue Dich auf morgen. Wir werden Abu Simbel sehen, den großen Tempel des Ramses“, versucht er sie abzulenken und küsst zärtlich ihre Schulter. Rachel lächelt in sich hinein. Damian ist in den letzten Tag so süß. Er trägt sie auf Händen, versucht ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Und die Nächte mit ihm sind einfach unbeschreiblich! Er verführt sie nach allen Regeln der Kunst und lässt sie Dinge erleben, die sie nie für möglich gehalten hätte. In den letzten Tagen und Nächten haben sich ihr Körpergefühl und ihre Empfindungen total
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